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JETHRO TULL – Curious Ruminant (2025)
(9.426) Patrick (8,5/10) Progressive Folk Rock

Label: insideOut
VÖ: 07.03.2025
Stil: Progressive Folk Rock
2022 war ich relativ überrascht und ziemlich begeistert, als der wohl bekannteste Querflöten-Derwisch der Rockgeschichte, Ian Anderson, die glorreiche Rückkehr von JETHRO TULL mit The Zealot Gene eindrucksvoll unter Beweis stellte. Und obwohl der Meister höchstselbst das einzig verbliebene Gründungsmitglied der Band ist, schlug die Platte bei mir ein wie eine Bombe. Nur ein Jahr später stand mit Rökflöte bereits das nächste Werk in den Läden. Thematisch wurde hier die Edda beflötet, doch lag das Album auf der musikalischen Seite weit hinter meinen Erwartungen zurück und bot wenig eingängiges Material. Allerdings scheinen die Ideen aus dem kreativen Frontmann nur so herauszusprudeln, denn nur knapp zwei Jahre später liegt mit Curious Ruminant schon wieder ein neues JETHRO TULL-Album vor.
Mit sanften Pianoklängen startet der Opener „Puppet And The Puppet Master“, bevor kurz darauf die obligatorische Querflöte übernimmt und der Meister sein sanftes Organ zum Singen bemüht. Schön, dass der Mann mit 77 Jahren immer noch verdammt gute Musik schreiben und vor allem auch singen kann! Weiter geht’s mit dem grandiosen Titeltrack, dessen instrumentale Melodieläufe mir einfach nicht aus dem Kopf gehen wollen. Herrlich… wie auch im Review zu The Zealot Gene damals erwähnt, ist JETHRO TULL hören für mich – dank meiner Eltern – immer so ein bisschen wie „nach Hause kommen“. Ich fühle mich dabei wunderbar geborgen, heimisch und irgendwie liebevoll umarmt.

Im Großen und Ganzen ist Curious Ruminant ein wahrhaft fantastisches Spätwerk eines Ausnahmekünstlers, der anscheinend immer noch so einiges zu erzählen hat. Und dass JETHRO TULL in ihrer Art eine völlig einzigartige Kunstform darstellen, ist ebenfalls nicht zu bestreiten. Instrumental befindet sich das Album auf dem absoluten Höhepunkt. Über dem leichten Rock-Grundgerüst geben sich allerhand folkige Instrumente die Klinke in die Hand, und manchmal hat man soundtechnisch sogar das Gefühl, Martin Barre (1968–2011 bei JETHRO TULL) würde hier noch die Saiten bedienen. Apropos Sound: Dieser ist ebenfalls über jeden Zweifel erhaben und schafft perfekt den Spagat zwischen liebevoll altbacken und modischer Neuzeit. Generell sollte Curious Ruminant am Stück und unter Kopfhörern genossen werden, denn nur so entfaltet sich dieses feingeistige Album in vollen Zügen.
Mir fehlen manchmal die richtig großen Refrains, welche die ohnehin sehr gut strukturierten und zaghaft liebevollen Folksongs zu wahren Hits machen würden. So rauschen eben einige Kompositionen relativ höhepunktfrei durch den Gehörgang und hinterlassen dort zwar durchaus ihre Spuren, aber richtig kräftige Widerhaken krallen sich nicht fest. Außerdem geht dem Album gerade hinten raus etwas die Puste aus, was vor allem im knapp 17-minütigen und recht sperrig wirkenden „Drink From The Same Well“ auffällt. Schlecht ist das alles bei Weitem nicht – es erfordert nur eben ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit (Kopfhörer!), um in den vollendeten Genuss zu gelangen.
Logisch… die wilden Zeiten sind auch bei TULL vorbei, und wer hier knallharte Rockhymnen erwartet, ist wahrlich fehl am Platz. Aber die Spielwiese des harten Rockers war ja eigentlich noch nie das Steckenpferd der Band. Vielmehr geht es hier um gefühlvolle, unfassbar gut instrumentalisierte und teils fast zerbrechliche Rocksongs, über deren musikalisch feinfühligem Grundgerüst die wahnsinnig weiche Stimme Ian Andersons thront. Geiles Teil! Auch wenn für meinen Geschmack das 22er Album aus der Reihe der Spätwerke der Band aufgrund der etwas eingängigeren Songs die Nase leicht vorn hat. Curious Ruminant ist dennoch ein qualitativ hochwertiges Glanzstück auf dem reizüberfluteten Musikmarkt und eine willkommene Abwechslung für meine sonst so schwarzmetallisch angehauchte Playlist. Hoffentlich möge uns der flötende Meister noch ein paar Jahre erhalten bleiben!
Anspieltipps:
🔥Curious Ruminant
🎸The Tipu House
Bewertung: 8,5 von 10 Punkten
TRACKLIST
01. Puppet And The Puppet Master
02. Curious Ruminant
03. Dunsinane Hill
04. The Tipu House
05. Savannah Of Paddington Green
06. Stygian Hand
07. Over Jerusalem
08. Drink From The Same Well
09. Interim Sleep