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SCALPTURE - Landkrieg (2025)
(9.450) Olaf (9,0/10) Death Metal

Label: Testimony Records
VÖ: 07.03.2025
Stil: Death Metal
Manchmal frage ich mich, ob Bielefeld wirklich existiert. Doch dann kommt eine Band wie SCALPTURE um die Ecke und drückt mir mit einem tonnenschweren Panzer die Realität direkt in die Magengrube. Und ja, spätestens wenn der Opener von Landkrieg loswalzt, weiß ich: Diese Stadt existiert, und sie hat die Hölle entfesselt. Seit 2009 gibt es die Truppe, damals vom Gitarristen Felix Marbach ins Leben gerufen – mit dem Ziel, klassischen Death Metal nicht nur zu spielen, sondern neu zu schärfen. Und was soll man sagen? Mission erfüllt. SCALPTURE sind mittlerweile sowas wie eine historische Abrissbirne mit Blastbeat-Antrieb. Und ihr viertes Album ist ein Kriegstagebuch, das man sich besser nicht vor dem Einschlafen durchliest.
Ein für alle Mal: Der ständige Vergleich zu Bolt Thrower ist so hilfreich wie eine Wasserpistole in Verdun. Natürlich: Marschrhythmen, Kriegslyrik, ein gewisses donnerndes Grollen – die Parallelen sind nicht von der Hand zu weisen. Aber wer genau hinhört, merkt schnell: SCALPTURE sind technischer, komplexer und deutlich unvorhersehbarer. Und Frontmann Thorsten bellt nicht wie Karl Willets, sondern klingt eher wie der uneheliche Sohn von Martin van Drunen nach drei Litern Brennspiritus. Heißt: Hier wird nicht nur gebrüllt, sondern erzählt – mit einer Intensität, die einem die Schädeldecke anhebt.

Was SCALPTURE aus dem Rahmen fallen lässt, ist nicht nur ihre musikalische Brutalität, sondern ihr thematischer Tiefgang. Landkrieg widmet sich dem Dreißigjährigen Krieg – also jenem epochalen Flächenbrand zwischen 1618 und 1648, der Mitteleuropa in eine blutige Wüste verwandelte. Keine plumpe Kriegsverherrlichung, sondern erschreckend präzise Recherchen, vertont als Schlachtensymphonie. Ein Konzeptalbum wie ein Schlachtplan – strategisch aufgebaut, jeder Song ein Kapitel der Vernichtung.
Produziert wurde das Ganze mit chirurgischer Härte von Lawrence Mackrory (F.K.Ü. Mastermind), der dem Album ein Klanggewand verpasst hat, das selbst den stabilsten Lautsprecher in die Knie zwingt. Das ist kein Sound, das ist Flächenbombardement. Dazu das wie immer ikonische Artwork von Eliran Kantor, das aussieht, als hätte Goya eine Metalplatte gezeichnet: düster, detailverliebt, düsterer. Eine perfekte Symbiose aus Optik und Akustik – besser kann man ein Konzeptalbum kaum rahmen.
Wer glaubt, Death Metal sei nur Grunzen mit Gitarrenbegleitung, sollte sich mal …Into Catastrophe vornehmen. Der Text könnte in einem Geschichtsbuch stehen – wäre da nicht der Refrain, der das katholisch-protestantische Gemetzel mit messerscharfer Ironie in Szene setzt. Die wohlklingende Reimstruktur und die dramatische Erzählweise machen daraus ein Mini-Hörspiel. Und spätestens bei Til Jeret Undergang bekommt man Gänsehaut – nicht nur wegen der nordischen Sprachfetzen, sondern weil der Song in seiner Struktur wie eine Vertonung von "Dänemark geht unter" funktioniert.
Und dann kommt Landsknecht. Ein Song wie eine Parade: Bunte Lumpen, Federhüte, Kanonendonner – der Marsch der armseligen Söldnertruppen wird hier zur brutalen Tanznummer. Und das mit einem Refrain, der so eingängig ist, dass man beim dritten Hören schon „Vorwärts, vorwärts“ mitbrüllt. Lehrmaterial für den nächsten Geschichtsunterricht!
Wallenstein – der wohl stärkste Song des Albums über den Popstar der Barockhölle – bringt den astrologiebesessenen Söldnerfürsten zwischen Wahnsinn, Macht und Mord perfekt auf den Punkt. Da groovt der Bass, da wüten die Drums, da tobt das Orchester der Vernichtung. Und dass hier ein historischer Charakter so plastisch dargestellt wird, dass man seine Gier fast riechen kann, ist kein Zufall, sondern Kunst.
Den Mörka Nattens Lejon bringt dann schwedischen Stahl ins Spiel: Gustav Adolf, der "Löwe aus Mitternacht", zieht in die Schlacht – mit einer theatralischen Wucht, die selbst so eine Rotzband wie Sabaton mit ihrer historischen Power Metal Interpretation vor Neid erblassen lässt. Of Siege and Besieged erzählt das Inferno von Magdeburg – ein musikalischer Flächenbrand, der in seinen Vocals, seinem Tempo und der chaotischen Gewalt erschreckend real wirkt. Und mit Schwedentrunk servieren SCALPTURE die wohl ekligste Foltermethode Europas in ungeschönter Grausamkeit – zum Soundtrack einer musikalischen Zwangsernährung.
Mit Hell’s Choirs Chant und Bellum Se Ipsum Alet schließt sich der Kreis: Europa brennt, die Welt ist am Ende. Und SCALPTURE feiern den Untergang mit infernalischer Wucht. Hier gibt es keine Hoffnung, kein Licht, kein Entrinnen. Nur Schutt, Asche und ein bleibender Eindruck in der Magengrube.
SCALPTURE führen mit Landkrieg ihren musikalischen Eroberungsfeldzug fort – und zwar mit Nachdruck, Präzision und der historischen Wucht einer vergessenen Epoche. Wer hier noch mit Bolt Thrower um sich wirft, hat das Prinzip nicht verstanden: Das ist kein Klon, sondern ein eigenständiges Monster. Brutaler, schlauer, fokussierter – und manchmal sogar schöner. Zumindest, wenn man Schönheit im Kanonendonner findet. Ein Album wie ein Geschichtsbuch, das statt Seiten Patronengurte hat. Und wer danach noch fragt, ob Bielefeld existiert, der kriegt den Schwedentrunk. Mit extra Sand.
Anspieltipps:
🔥 Wallenstein
Ein Manifest der musikalischen Machtausübung. Kriegsfuror trifft galaktisches Götter-Ego.
💀 Til Jeret Undergang
Nordischer Untergang mit Marschrhythmus und bitterbösem Text.
🎸 Landsknecht
Mitgröhlrefrain, Kanonen, Chaos. Ein tanzender Tod in Taktformation.
🔥 Of Siege and Besieged
Magdeburg muss brennen – und die Boxen gleich mit.
💀 Schwedentrunk
Nicht hören beim Essen. Oder beim Trinken. Oder überhaupt bei irgendwas mit Flüssigkeiten.
🎸 Bellum Se Ipsum Alet
Der Soundtrack zur Selbstzerstörung – und zum letzten Rest Hoffnung, den man besser gleich vergisst.