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Live on Stage-Report: Protzen Open Air 2025 - TAG 1 Donnerstag, 19.06.2025
Gebeutelte Flamingos und ein überraschender Auftakt

Der Donnerstag und ich – das wird in diesem Leben keine große Liebesgeschichte mehr. Früher, ja früher, als das Protzen Open Air noch aus zwei knackigen Tagen bestand, war das alles deutlich entspannter. Kein künstlich gestreckter Auftakt, keine Hektik nach dem Feierabend, kein Gefühl, schon mit einem halben Ohr bei der Arbeit zu sein, während man sich auf dem Acker eigentlich ganz dem gepflegten Geballer hingeben möchte. Und dann stehen da auch nur fünf Bands auf dem Zettel – das fühlt sich mehr nach Appetizer an als nach Festivalbeginn. Aber das ist meine persönliche Meinung.
Dazu kam dieser berüchtigte Berliner Feierabendverkehr, der wieder einmal all seine zähflüssige, hupende, rücksichtslos blinkende Schönheit entfaltete. Als Krönung mussten wir über mein persönliches Fegefeuer namens Potsdam ausweichen – ein Umweg, der mir die Laune kurzzeitig auf Sub-Null-Niveau drückte.
Aber! Kaum angekommen, war der Groll wie weggeblasen. Denn was sich da auf dem Gelände abspielte, überraschte selbst mein leicht genervtes Donnerstags-Ich: Schon am frühen Nachmittag hatten sich Heerscharen an Metalheads auf der Campingwiese verschanzt, als hätte es Freibier gegeben. Zelte soweit das Auge reicht, die ersten Biere geöffnet, die Kutten wehten im Wind – die Community war sowas von bereit.
Und das war auch gut so, denn das Wochenende versprach trotz des etwas zähen Starts mit hochkarätigen Bands, bewährtem Soundgewummer und garantiert wieder einer dieser legendären Nächte, an die man sich zumindest teilweise erinnern wird. Wer braucht da schon einen perfekten Donnerstag?
Kurzfristig wurden WAY2FAR noch als Opener verpflichtet – eine Entscheidung, die viele Augenbrauen hochziehen ließ. Denn melodischer, progressiver Metal aus Berlin passt eigentlich gar nicht so recht zum Grind- und Death-Metal-Umfeld hier. Doch der Hangar füllte sich: Ziehende Stoffbanner, Kettenhemden, Gemisch aus Metalheads und neugierigen Familien. Und siehe da – da standen tatsächlich ein paar Dutzend Zuhörer bereit, als die charmante Frontfrau Heike das Mikro übernahm.
Das Set beinhaltete Songs, bei denen sich das melodische Riffing und die klaren Vocals Heikes deutlich von der harschen Hauptbühnenkost abhoben. Technisch waren feines Keyboard-Spiel und durchschaubare Soli zu hören – handwerklich sauber, keine Frage. Allerdings … der Sound war leider ziemlich mies. Der Mix brachte Schlagzeug, Gitarre und Synths kaum durch, Heikes Gesang verhallte teilweise im Nebel. Und das hatte sich bei den folgenden Gigs leider auch nicht geändert, wie mehrere Konzertberichte und Kommentare später noch beklagten.
Heike äußerte sich hinterher diplomatisch: „Zumindest sind nicht alle abgehauen.“ Und das stimmt – die verbliebenen Leute hielten durch, einige nickten sogar mit dem Kopf. Dennoch merkte man, dass der Funke nicht so richtig überspringen wollte – dazu passte die Band klanglich zu sehr in sich selbst versunken, fern vom rohen Protzen Open-Air-Flair. Fachlich korrekt und solide gespielt – ja. Aber für das rauchige Ambiente des Protzen Open Air? Eher ungeeignet. Der Hangar wirkte als Mini-Kontrastprogramm, und obwohl WAY2FAR hörbar bemüht waren, konnte der Auftritt kaum gegen die Soundprobleme und Stil-Dissonanz ankommen.
WAY2FAR als kurzfristige Opener-Idee bot eine ungewohnte, melodische Variante – technisch solide, aber vom Sound her zu dumpf für den Open-Air-Hangar. Heikes Einsatz rettete die Stimmung etwas, doch insgesamt wirkte der Auftritt eher deplatziert. Für die Festivalbühne eine ordentliche Leistung, aber mit klaren Begrenzungen: es war okay – aber fürs Protzen Open Air definitiv eher ungeeignet.
Das erste, was mir durch den Kopf ging, als die ersten Töne von MY COLD EMBRACE erklangen: Mir war nicht bewusst, dass es die Truppe überhaupt noch gibt. Zugegeben, bei über 25 Jahren Bandgeschichte (seit 1998 aktiv, Melodic/Progressive Death Metal aus Kassel) überrascht einen so ein Comeback fast wie ein Donnergrollen in der Sommertornadostimmung. Aber da standen sie jetzt, als zweite Band des Billings. Stark!
Leider wusste auch hier der Soundmann nicht, wie man den Tücken des Hangars entgegenwirken kann, und somit verpuffte der ansonsten solide gespielte Prog Death Metal an den Wellblechwänden. Die Gitarren lösten sich in Echo‑Halos auf, die Drums schlugen hohl in der Stahlkiste – kreative Soundrätselstunde statt druckvoller Metal‑Attacke. Ein wenig wirkte das Ganze so, als hätte die Halle ein eigenes Veto gegen Präzision eingelegt.
Trotzdem tat das der alkoholgeschwängerten Stimmung keinen Abbruch. Im Gegenteil: Es wirkte fast, als ob die Fans beim kollektiven Ausrasten die Soundmängel sogar ausgelassen ignorierten – und vielleicht war’s gerade dieser leicht chaotische Klangteppich, der der Performance einen gewissen rauen Charme verlieh. Frontmann Sascha Ückerwob zwischen gutturalem Growl und melodischen Passagen, durch die vertrackten Rhythmuswechsel navigierten seine Mitstreiter, dass es eine Wonne war – zumindest abseits des Mikrofons. Es hat sich definitiv doch gelohnt, nach all den Jahren die Jungs wieder auf die Bühne zurückzuzerren.
MY COLD EMBRACE gehören nicht nur zur Geschichte der deutschen Underground‑Szene, sie beweisen auch heute noch Relevanz – trotz siebenjähriger Studio‑Pause. Der Sound war suboptimal, keine Frage. Aber die Band spielte routiniert, engagiert und vor allem noch mit einer beeindruckenden Spielfreude. Und das Publikum? Das feierte sie, als wäre es der Geheimtipp des Festivals – was bei genauem Hinhören gar nicht so falsch war.
In einem Festival-Line-up, das von bekannten Acts dominiert wird, setzte Wormrot den wohl größten Exotenbonus: Ein Grindcore-Trio aus Singapur – klingt nach Weltraum, fühlt sich aber wie Höllentrip an. Schon die Tatsache, dass eine Band aus dem Stadtstaat Asiens extra angeflogen ist, sorgte für gespannte Blicke. Als sie die Bühne betraten, war klar: kein Backpacker-Tourismus, sondern gnadenloser Metal-Export!
Vom ersten Ton bis zum finalen Breakdown machte das Trio einen Megaalarm. Sänger Arif Rot riss seine Stimmbänder in alle Richtungen, Drummer Fitri rattelte wie mit zehn Armen gleichzeitig, und Gitarrist Rasyid ließ die Riffs perlen wie Granaten. Die Intensität: ungebremst, die Wucht: frontal – typisch Wormrot halt.
Und ja, man hörte es: Der Sound war endlich besser – druckvoller und gleichzeitig klarer als bei bisherigen Festivalauftritten. Die Drums bohrten sich nicht mehr nur durch den Mix, sondern legten eine Grundschicht, auf der die Gitarren richtig knallten. Plötzlich war kein Instrument mehr eine Nebensächlichkeit – alles war hörbar. Keine Selbstverständlichkeit bei Grindcore, aber hier erreicht.
Der Hangar war zur dritten Band des Tages bereits gut gefüllt – Spitzenplatzierung: more than good! Die Leute draußen spürten, dass etwas los ist, rissen die Augen auf und verweilten aus einem Grund: es knallte. Eine Main-Stage-Atmosphäre schon vor der Hauptbühne.
Das war Grindcore vom Feinsten – und ehrlich gesagt hätte dieses Set auch bestens zum Haupttag des Festivals gepasst. Die Ballerei mit Blastbeats, die Gemixtheit aus spitzem Shoegaze-Blast und Bodyslam-Tempo hätte glatt als Höhepunkt des zweiten Tages durchgehen können. Dass es „nur“ die dritte Band war – zeigt vielmehr, wie sehr sich Wormrot Respekt erspielt haben: Die hätten auch eine Main-Stage zum Beben gebracht.
Wormrot lieferten den ultimativen Exoten-Knaller aus Singapur – nonstop Alarm, soundtechnisch ordentlich nachgezogen, Publikum loyal am Start, perfekt gereiht in Set und Platzierung. Klingt, als wär das Harcore-Triumvirat ziemlich sauer, Mainstage-Status jedenfalls hätte niemandem widersprochen.
Es gibt diese magischen Momente im Leben eines Festivalbesuchers, in denen man endlich recht bekommt. In meinem Fall: Ich wurde letztes Jahr beim Protzen Open Air noch mitleidig belächelt, als ich stolz mein SPASM-Shirt trug – jene tschechische Kulttruppe, die den Begriff „Porngrind“ nicht nur musikalisch, sondern auch visuell sehr, sehr wörtlich nimmt. Und siehe da: 2025 standen sie tatsächlich auf der Bühne in Protzen. Karma ist manchmal eben doch ein perver... äh, präziser Richter.
Das Trio aus Prerov, bekannt für ihren völlig enthemmten Gore- und Cybergrind-Mix, trat wie gewohnt in spärlichster Textilierung an – vornweg Frontmann Radim alias „Bilos“, der traditionell sein Gesicht zu Beginn in einer Penis-Maske verbarg. Ja, die Maske. Wer SPASM kennt, weiß: Das ist kein Gimmick, das ist Bühnenoutfit. Flankiert wurde er von Bassist Tomas und Live-Drummer Lukas Jelinek, der dem chaotischen Krawall eine willkommene rhythmische Präzision verlieh – ein echtes Upgrade gegenüber der früheren Drumcomputer-Ära, die mehr wie eine defekte Waschmaschine klang.
Leider hatten SPASM mit technischen Problemen zu kämpfen. Immer wieder zickte die Elektronik, was den ansonsten unaufhaltsamen Beat-Abriss deutlich ins Stocken brachte. So blieb der sonst gewohnt durchgehende Porno-Grind-Highspeed-Spaß diesmal eher ein stotternder Stotterporno. Dass der Vibe trotzdem nicht komplett verlorenging, lag vor allem am Publikum: Euphorisch, schräg und – wie soll man sagen – bereit. Ein Dildo flog auf die Bühne, begleitet von einem BH in der Größenordnung „Hüpfburg für Erwachsene“. Wer so viel Liebe erntet, macht offenbar etwas richtig.
Musikalisch bollerte man sich unter anderem durch Ladyboy Party, Lick your fingers und Dildo Party, allesamt keine Hymnen für den nächsten Kindergeburtstag, aber dafür genau das, was das porngrindige Herz begehrt: kranke Grooves, verquere Bassläufe und Vocals, die irgendwo zwischen tiefem Röcheln und verstopftem Staubsauger liegen. Leider – und das sage ich als bekennender Freund des Grenzdebilen – wurde es mir irgendwann einfach zu gleichförmig. Wenn alles in gleichem Tempo und mit derselben rhythmischen Struktur auf einen einhackt, wünscht man sich irgendwann eine Zäsur, eine Überraschung oder wenigstens ein weiteres Requisit außer Gummischwengel.
So nutzte ich die Gelegenheit, mich in Richtung Gelände zu verdrücken und mir mein erstes Knoblauchbrot des Wochenendes zu gönnen – eine Entscheidung, die meinem kulinarischen Wohlbefinden guttat, auch wenn ich dadurch vermutlich den späteren Circlepit zu Vaginal Zombie verpasste.
SPASM bleiben das skurrile Kuriositätenkabinett der Extreme-Metal-Welt. Ihre Show in Protzen war ein Mix aus wahnwitziger Porno-Performance, musikalischer Entgleisung und technischer Holperstrecke. Wer auf der Suche nach Hochkultur war, war hier falsch – wer jedoch Lust auf hemmungslosen Wahnsinn hatte, bekam ihn. Ich hingegen bekam mein Knoblauchbrot. Und Genugtuung.
Was war das denn bitte? Zwischen all dem finsteren Death-Geknüppel, d-beatigem Gemoshe und Blastgewitter tanzten plötzlich fünf herrlich bekloppte Gestalten in Warnwesten und Helmen über die Bühne und lieferten eine Show ab, die irgendwo zwischen Anarcho-Kabarett, AOK-Punk und Pyro-Schützenfest pendelte. Ja, INGE & HEINZ waren tatsächlich beim Protzen Open Air. Und endlich bekam die Luckenwalder Brutalhartschlager-Fraktion ihren wohlverdienten Auftritt.
Dabei begann es fast antiklimaktisch. Das eigentlich geplante Intro wurde vom Soundmann mit einem „Ihr seid zu laut!“ ausradiert. Kein Ding für INGE & HEINZ, denn wie so oft zogen sie ihr Ding einfach durch. Und Arbeitsschutz war dann eben der unerwartete, aber passende Startschuss – inklusive erster Lachsalven, Headbanger-Verwirrung und der Erkenntnis, dass „Kurioses“ auf dem Protzen nicht nur funktioniert, sondern komplett eskalieren kann. Das musste auch der vorher im Backstage gesichtete Plastik-Flamingo erfahren, der neben diversen Wasserbällen ebenfalls durch die Luft flog und nach dem Gig ziemlich lädiert aus seinem rosa Federkleid blickte.
Über die Jahre ist mir die Truppe nicht nur musikalisch ans Herz gewachsen. Da entstanden echte Freundschaften – inklusive gemeinsamer Kaffeekränzchen, Festivalgeschichten und dem einen oder anderen Likörchen. Umso mehr fieberte ich mit, ob das harte Publikum in Protzen diese schräge Mischung akzeptieren würde. Antwort: ein kollektives Ausrasten. Und nicht nur von Deutschen. Unser maltesischer Freund Nick etwa schwenkte völlig entfesselt seine Nationalflagge, während mein Sohn pausenlos simultan übersetzen musste, was es mit Der Schuh, Templin, Raucherdackel oder Ditte auf sich hatte. Sprachgrenzen? Nicht bei INGE & HEINZ. Wer hier kein Grinsen im Gesicht hatte, hat entweder kein Herz oder zu viel Blut im Eierlikör.
Apropos: Der wurde natürlich auch verteilt – und zwar stilecht von Inge höchstselbst, die aus dem Fotograben heraus Gläschen reichte, als ginge es um das Seelenheil des Festivals. Ich selbst war zu diesem Zeitpunkt noch leicht benommen vom ersten Pyroeffekt, der mir direkt vor dem Gesicht detonierte. Hätte man mich ruhig mal vorwarnen können – mein Bart war jedenfalls nur Millimeter davon entfernt, als flammender Fackelträger durch den Hangar zu stürmen.
Musikalisch? Wer hier Anspruch sucht, sucht bei anderen Bands. Aber wer auf durchgeknallte Grooves, Ohrwurmmelodien und Texte mit absurdem Alltagscharme steht, bekam mit Mondfahrt und Megafon echte Live-Kracher geliefert. Auf Platte mag das schon Spaß machen – auf der Bühne ist es schlichtweg ein Triumphzug.
INGE & HEINZ haben Protzen nicht nur bestanden, sie haben es gewonnen. Mit Witz, Eierlikör und Pyro. Und mit einer Show, die man so schnell nicht vergisst. Kurios? Vielleicht. Großartig? Ganz sicher.
Was für ein Auftakt! Der erste Tag des Protzen Open Air 2025 ging runter wie ein gut gekühltes Dosenbier in der Mittagssonne: erfrischend, belebend – aber mit leicht blechernem Nachklang, denn leider hatte der Soundmann den Hangar akustisch nur bedingt im Griff. Zwischen scheppernden Becken und verlorenem Bass schien das Mischpult manchmal eher auf Glück als auf Können eingestellt gewesen zu sein.
Doch Sound hin oder her – schon jetzt traf man wieder zahlreiche altbekannte Gesichter, umarmte lang nicht gesehene Freunde und erspähte erste neue Bekanntschaften, bei denen der Name zwar noch fehlte, aber das gemeinsame Kopfnicken bereits verbindend wirkte. Trotz des üblichen Festival-Fiebers wanderte erstaunlicherweise noch kein Shirt in meinen Besitz – was sich in den beiden folgenden Tagen aber durchaus ändern sollte. Unterm Strich: Ein schöner erster Tag mit kleinen Macken, aber viel Herz, reichlich Bier und einer Menge Vorfreude auf Tag 2. Das machte definitiv Bock auf mehr – und vielleicht ja auch bald auf ein Shirt.
