VISIONATICA – Harrowing Insight (2025)
(9.501) Olaf (7,5/10) Symphonic Metal

Label: El Puerto Records
VÖ: 18.04.2025
Stil: Symphonic Metal
Ich muss es zugeben: Wenn ich "Symphonic Metal mit weiblichem Gesang" höre, ziehe ich innerlich meist die Augenbrauen bis zur Schädeldecke. Trällerelsen-Mucke, wie man es im schroffen Tonfall des Rock’n’Roll-Stammtischs nennen würde – wohlgemerkt in dem hier vorliegenden Fall ohne jede Böswilligkeit. Doch VISIONATICA schaffen es tatsächlich, an mehreren Stellen meines metallischen Nervensystems so beherzt zu kitzeln, dass ich überrascht grinsen muss. Und das will was heißen.
Die Nürnberger Band rund um Sängerin Tamara Amedov hat sich seit 2016 zur Aufgabe gemacht, Melodien mit Biss, orchestrale Dramatik und metallische Härte in ein stimmiges Klangbild zu gießen. Dabei weht immer ein leichter Hauch von Orient durch die Partituren, gepaart mit einer Extraportion Sexappeal – und einer Verspieltheit, die bei aller Ernsthaftigkeit nicht albern wirkt. Das neue Album Harrowing Insight ist nicht nur ein hübsch aufpoliertes Upgrade, sondern in vielerlei Hinsicht ein Schritt in neue Klangdimensionen.
Gleich zu Beginn gibt es mit The Mirror ein kurzes Intro, das so wirkt, als wolle man dem Hörer mit feierlichem Ernst eine Warnung aussprechen: "Achtung, hier kommt was Großes." Und ja, Wolfman bestätigt diese Ankündigung prompt mit einem Riff, das einem förmlich ins Genick springt. Hier treffen wuchtige Gitarren auf cineastische Opulenz und einen Refrain, der sich festbeißt wie ein Werwolf in der Vollmondnacht. Und das Ganze mit ordentlich Druck – die Produktion ist eine wahre Freude für Menschen mit funktionierendem Gehör.
Überhaupt ist das Songwriting eine der größten Stärken des Albums. Hier wird nicht einfach nur Keyboardteppich auf Doublebass gelegt, sondern clever komponiert, strukturiert und vor allem: abwechslungsreich. VISIONATICA packen mit Sympathy for the Devil eine düstere, leicht jazzig verschachtelte Nummer aus, bei der Tamara vokalistisch sämtliche Register zieht. Und spätestens bei Scheherazade fühlt man sich wie in einen Fantasy-Epos aus 1001 Gitarrenriffs hineinkatapultiert. Fucking Seducer ist nicht nur wegen des frechen Titels einen Hinhörer wert – hier kommt Gaststimme Ambre Vourvahis (Xandria) zum Zug, und gemeinsam wird ordentlich Dampf gemacht. Man kann sich das als energiegeladenes Duell auf einem brennenden Opernbalkon vorstellen, irgendwo zwischen High Drama und Kick-Ass. In Psychopaths wird es dann böse und stampfend – fast schon Industrial-artig, aber ohne die sterile Kälte, die man sonst aus diesem Bereich kennt.

Und dann kommt sie, die größte Überraschung: Super Masochist So Sadistic Feministic. Was für ein Titel! Was für ein Song! Statt peinlicher Provokation gibt es hier einen irrwitzigen Ritt durch alle Facetten des Symphonic Metal – mit einem Groove, bei dem man unwillkürlich zucken muss. Tamara singt mal grazil, mal dämonisch, während Manuel Buhl die Gitarre mit der Präzision eines Chirurgen und der Leidenschaft eines Flamenco-Tänzers bearbeitet. Großes Kino. Auch die ruhigeren Momente wie Paralyzed oder Inside überzeugen, weil sie nicht als schmalzige Pausenfüller daherkommen, sondern echte Dynamik zeigen. Und wenn dann Flashback mit einer Art düsterer Hymne das Finale einläutet, hat man bereits vergessen, dass man diese Art Musik eigentlich gar nicht so sehr mag.
Die technische Seite sei hier nicht nur erwähnt, sondern geadelt: Produziert wurde Harrowing Insight von Timon Seidl gemeinsam mit der Band im Red Audio Studio. Der Mix stammt von Olaf Reitmeier, das Mastering von Michael Rodenberg – beide sitzen an den Reglern des renommierten Gate Studios. Und das hört man. Der Sound hat Wucht, Transparenz und eine Tiefenstaffelung, die man nicht in jedem Genrebeitrag findet. Alles sitzt, nichts schwimmt, und die Band wirkt, als hätte sie zum ersten Mal sämtliche ihrer Träume in Studioform umsetzen dürfen.
Ich bin ehrlich: VISIONATICA haben es geschafft, mein Herz zumindest temporär für den symphonischen Bombast zu öffnen. Nein, ich werde nicht zum Fan mit wallender Mähne und Fantasy-Korsett, aber verdammt: Das hier ist gut gemacht. Sehr gut sogar. Die Nürnberger liefern ein Album ab, das mit grandioser Produktion, starkem Songwriting und einer durchgehend überzeugenden Frontfrau glänzt. Und wer sonst bei ähnlichen Bands eher Augen rollt, könnte hier doch angenehm überrascht werden – denn VISIONATICA machen hier einen echt schlanken Fuß.
Anspieltipps:
🔥Wolfman
💀Super Masochist So Sadistic Feministic
Bewertung: 7,5 von 10 Punkten
TRACKLIST
01. The Mirror (Intro)
02. Wolfman
03. Sympathy for the Devil
04. Scheherazade
05. Fucking Seducer
06. Psychopaths
07. Super Masochist So Sadistic Feministic
08. Paralyzed
09. Flashback
10. Inside