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AGNOSTIC FRONT – Echoes in Eternity (2025)
(9.930) Olaf (6,0/10) Hardcore
Label: RPM
VÖ: 07.11.2025
Stil: Hardcore
Ich habe AGNOSTIC FRONT immer so kennengelernt, wie sie in stickigen Clubs von New York riechen: nach Schweiß, U-Bahnstaub und der Sorte Wut, die dir eine ganze Woche lang die Kehle freibrennt. 1982 gegründet, Vinnie Stigmas Gitarrenhand wie ein Presslufthammer, Roger Mirets Stimme wie Asphaltfräse – die Blaupause für NYHC, unverwechselbar wie die 7-Train bei Morgengrauen. Genau mit diesem Bauchgefühl habe ich Echoes in Eternity aufgelegt – und saß dann ziemlich schnell mit hochgezogener Augenbraue da.
Ein neues Zuhause bei RPM, produziert von Mike Dijan, Artwork von Ernie Parada. 15 Songs, kurz, bissig gedacht, thematisch Krieg, Verrat, Unterdrückung, persönlicher Kampf – alles klassische AF-DNA. Sogar ein Crossover-Moment mit Darryl “DMC” McDaniels in Matter of Life & Death ist an Bord. Auf dem Papier klingt das nach einem Rundumschlag der alten Schule. In der Praxis wirkt es jedoch häufiger wie ein sauber gefegter Gehweg vor einem schmutzigen Club. Zu oft ist der Sound klinisch blankpoliert, steril, als hätte jemand die dreckigen Straßen von New York frisch desinfiziert. Genau dieser Mangel an Grit nimmt den Songs Reibung – und Hardcore ohne Reibung ist wie eine Crew ohne Narben.
Dabei startet das Ding mit Way of War durchaus verheißungsvoll: 109 Sekunden Stiefelspitze, die Türe fliegt auf, die ersten Reihen zucken. You Say hält den Puls oben, Shots Fired markiert später eine dieser Stellen, an denen der alte Instinkt plötzlich doch wieder zuschnappt und der Nacken automatisch nickt. Auch Turn up the Volume klingt nach vereinigter Faust über den Köpfen – der typische “unifying pit anthem”-Effekt passiert im Körper, bevor der Kopf mitdenkt. Und ja: der DMC-Gastauftritt in Matter of Life & Death ist ein netter Farbtupfer, der zeigt, dass AGNOSTIC FRONT Crossover nicht erst seit gestern buchstabieren. All das steht so oder so ähnlich zwischen den Zeilen des offiziellen Infosheets – nur: auf Platte trägt es den Abend nicht allein. Zu oft rauschen Tracks wie Art of Silence oder Evolution of Madness an mir vorbei, als würde der Mixer die Kanten weichspülen, bis vom Bordstein nur noch ein Handlauf übrig bleibt.
Ich weiß, was diese Band live kann. Ich habe blaue Flecken, die mir noch Wochen später aus dem Spiegel zugenickt haben. Und live werden Sunday Matinee oder Hell to Pay vermutlich das tun, was AGNOSTIC FRONT seit vier Jahrzehnten am besten können: kapital Arsch treten. Auf Platte aber fehlt mir diesmal der Wiedererkennungswert. Viele Riffs, viele Shouts, viel Tempo – aber zu wenig von diesem “Das sind sie!”-Moment, der früher bereits nach drei Akkorden klar war. Wenn ich ehrlich bin: Ich höre drei, vielleicht vier wirklich starke Nummern. Der Rest joggt im Mittelfeld, schwitzt kaum und schaut gelegentlich zu oft auf die Uhr.
Historisch betrachtet steckt in dieser Band nun mal die Maschine, die New York Hardcore ins Fundament getreten hat – Street-Authentizität, die viele Nachgeborene nur noch zitieren können. Genau deswegen erwarte ich von einem AF-Album mehr als solide Handwerkskunst. Der Pressetext ruft mir ins Gedächtnis, wie wichtig und unkaputtbar diese Institution ist; das unterschreibe ich. Aber “wichtig” ersetzt nicht “mitreißend”. Releasedatum, Label-Wechsel, die – zugegeben – sympathische Attitüde “wir sind lauter, härter, vitaler denn je”: All das ist schön, doch mein Ohr hört zu selten das Bluten, das NYHC legendär gemacht hat.
Vielleicht trifft mich das so hart, weil mich das Album an meinen Freund erinnert, mit dem ich über genau solche Platten stundenlang gestritten habe. Schrod hätte hier garantiert ein, zwei herrlich grantige Sätze fallen lassen – und ich wünschte, ich könnte sie jetzt daneben legen. Drei Jahre ist er weg; heute sitze ich allein da, nuschele “harter Stoff, weiche Kanten” in den Bart und drücke trotzdem noch einmal auf “Play”, in der Hoffnung, dass die Songs mir doch noch ein blaues Auge schenken.
AGNOSTIC FRONT bleiben eine Legende. Live werden Vinnie und seine Jungs weiterhin Frontzähne zählen. Aber Echoes in Eternity klingt für die Straße zu klinisch, für die Legende zu austauschbar und für mein Hardcore-Herz zu selten zwingend. Wenn der Mixer die Schrammen wegpoliert, fehlt am Ende genau das, was diese Band unsterblich gemacht hat: der Dreck, der kleben bleibt. Ich gönne AGNOSTIC FRONT jeden Triumphzug – Label-Deal, Tour, volle Clubs, alles verdient. Aber auf Platte will ich das Klirren von zerbrochenem Glas und den Geruch von kaltem Beton. Echoes in Eternity bietet mir davon zu wenig. Drei, vier Treffer, der Rest sparringt sauber – und lässt mich mit dem Gefühl zurück, dass ausgerechnet diese Band mehr kann als das, was hier dokumentiert ist. Live? Jederzeit, sofort. Auf Record? Diesmal nur mit Ansage.
Anspieltipps
🔥Way of War
💀Shots Fired
🎸Matter of Life & Death (mit DMC)
Bewertung: 6,0 von 10 Punkten
TRACKLIST
01. Way of War
02. You say
03. Matter of Life & Death
04. Tears for Everyone
05. Devided
06. Sunday Matinee
07. I can’t win
08. Turn up the Volume
09. Art of Silence
10. Shots fired
11. Hell to pay
12. Evolution of Madness
13. Skip the Trail
14. Obey
15. Eyes open wide

