PARADOX - Mysterium (2025)
(9.823) Olaf (9,0/10) Thrash Metal

Label: High Roller Records
VÖ: 26.09.2025
Stil: Thrash Metal
Ich habe PARADOX immer mit zwei Dingen verbunden: dem fränkisch-knackigen Timbre von Charly Steinhauer und diesem unverschämten Drang, Riffs wie Wetzstahl durchs Trommelfell zu ziehen. Dazu kommt eine persönliche Komponente: Es ist schwer, ein Album eines Freundes zu rezensieren – Charly hat mir in einer dunklen, schweren Zeit geholfen, weit abseits aller Musik. Gerade deshalb will ich’s sauber trennen: Herz ja, Schönfärberei nein. Und weil’s zur Einordnung passt: PARADOX waren Band Nummer 271 auf Metal Archives – das ist kein Kneipenwissen, das ist eine Marke. Dieses Projekt hat Gewicht, seit Dekaden.
„Mysterium“ erscheint bei High Roller, und schon der Umstand, dass Charly buchstäblich alles selbst gemacht hat – Gitarren, Bass, Gesang, die (programmierten) Drums, die Produktion obendrauf – prägt den Charakter der Platte. Mastering? In den bewährten Händen von Patrick W. Engel. Lyrics? Wieder aus der Feder von Achim „Dax“ Hömerlein (ex-Vendetta). Verpackt in ein Artwork von Travis Smith. Das ist nicht nur Aufzählung, das ist Kontext: PARADOX sind anno 2025 ein bewusstes Studioprojekt, pointiert, fokussiert, mit klarem Qualitätsanspruch.
Wer jetzt die Stirn runzelt, weil „Drumcomputer“ fällt: „Drumcomputer? Pfft, druff jeschissen.“ Hier geht’s um Songs, Drive und Design. Und da feuert Charly wie in Bestform: Rhythmisch geschnürte Stakkato-Salven, melodisch klug verschränkte Leads, Hooks, die eher beißen als betteln – und ein Mix, der wie ein Rasiermesser schneidet: fett, messerscharf, geil arrangiert. Das klingt nicht nach „one-man-show im Keller“, das klingt nach einer Maschine, die auf Albumlänge präzise und ohne Leerlauf durchzieht.
Thematisch bindet die Platte ihre Stücke zusammen, ohne dogmatisches Konzeptalbum zu sein – was der Musik Luft lässt. Abyss of Pain and Fear nimmt spürbar Bezug auf den Film „Midnight Express“, Grief verneigt sich als Instrumental vor dem 2023 verstorbenen Mitgründer Axel Blaha, und der Titeltrack Mysterium gräbt in der Traumdeutung. Man hört, dass hier Dinge verarbeitet werden, die Charly tatsächlich bewegen; Dax Hömerlein kanalisiert das in Texte, die nicht predigen, sondern knistern.
Musikalisch liegt „Mysterium“ genau dort, wo PARADOX seit jeher glänzen: an der Kreuzung von Speed, Thrash und feiner Melodik. Schon Kholat öffnet die Tür mit diesem frostigen Unterton, der eher Atmosphäre setzt als Zeit zu verschwenden. Those Who Resist und Fragrance of Violence legen dann den klassischen PARADOX-Schwenk hin: straffe Uptempo-Beats, signature-Riffing mit melodischen Oberstimmen, Breaks, die nicht bloß „Stop-and-Go“ sind, sondern gezielte Spannungspunkte. Über allem thront Charlys Stimme, die man seit Jahrzehnten aus tausend Kehlen herausfiltern würde – fränkischer Nasal-Schmelz trifft Biss, hoher Wiedererkennungswert, Punkt.
Der Titeltrack hat einen großartigen Refrain – so ein richtiger „nochmal-Play“-Moment, bei dem die Harmonieführung den Thrash-Zahnschliff nicht entschärft, sondern veredelt. Und ja: Die letzten beiden Songs geraten vielleicht ein wenig zu lang. The Demon God trägt sein dramaturgisches Gewicht fast schon stolz vor sich her, und der CD-Bonustrack Within the Realms of Gray malt die Spannungsbögen so ausführlich aus, dass ein, zwei Minuten weniger der Schlagkraft gutgetan hätten. Aber das ist Jammern auf hohem Niveau, weil Substanz und Spannweite stimmen.
Was man nicht wegdiskutieren kann: Charly schmeißt mit geilen Riffs nur so um sich und hinterlässt verbrannte Trommelfelle. Der Sound ist modern, aber nicht steril; transparent, aber nicht dünn; druckvoll, ohne die Mitten plattzubügeln. Hier atmen die Gitarren, hier trägt der Bass, hier sitzt jede Betonung – eben genau der Vorteil, wenn einer die eigene Vision bis zur letzten Spur in der Hand behält. Und darum nochmal: „Drumcomputer? SCHEIß DRAUF.“ Die Songs funktionieren live-im-Kopf, weil sie im Studio so stringent gedacht sind.


Objektivitätsschalter kurz umgelegt: Ist „Mysterium“ – wie Charly selbst sagt – das stärkste PARADOX-Album neben „Heresy“? Ich weiß, warum er das empfindet: Identität, Eingängigkeit, Replay-Sog – all das ist da. Aber ich bleibe bei meiner Linie: „Heresy II“ ist für mich das Nonplusultra der neueren PARADOX-Historie, von den Frühwerken abgesehen. Daran ändert „Mysterium“ nichts – und das muss es auch nicht. Diese Platte nimmt den Staffelstab auf, verankert ihn in 2025 und zeigt, warum PARADOX nie zu den Nostalgie-Acts zählen werden: weil hier jemand mit klarem Kopf und vollem Herzschlag schreibt.
„Mysterium“ ist die präzise definierte Essenz dessen, was PARADOX groß macht: Riffs mit Rückgrat, Melodien mit Kante, ein Frontmann, den man aus dem Stand erkennt, und eine Produktion wie Skalpellstahl. Der Titeltrack packt sofort, das thematische Band hält, und nur das Finale hätte etwas straffer ausfallen dürfen. Unterm Strich aber gilt: Studioprojekt hin oder her – dieses Album fühlt sich lebendiger an als die Setlists mancher „echten“ Bands. Und wenn Charly im Infosheet schon ans Nachfolgealbum denkt, dann ist das kein Größenwahn, sondern schlicht Folgerichtigkeit.
Anspieltipps
🔥Mysterium
☠️Those Who Resist
🎸Fragrance of Violence
Bewertung: 9,0 von 10 Punkten
TRACKLIST
01. Kholat
02. Abyss of Pain and Fear
03. Grief
04. Those who resist
05. One Way Ticket to die
06. Pile of Shame
07. Tunguska
08. Fragrance of Violence
09. Mysterium
10. The Demon God
11. Within the Realms of Gray