KATATONIA – Nightmares as Extensions of the waking State (2025)
(9.599) Phillip (7,7/10) Gothic/ Alternative/ Progressive Metal

Label: Napalm Records
VÖ: 06.06.2025
Stil: Gothic/ Alternative/ Progressive Metal
Ich lege mal schon im Vornherein die Karten auf den Tisch. Meine Berührungspunkte mit Katatonia sind bestenfalls überschaubar. Wenn überschaubar heißt, dass ich Menschen kenne, die Katatonia hören. Diese eint allerdings, dass sie die Schweden um Jonas Renkse bedingungslos kultisch verehren und schwören, dass es keine schlechten Alben dieser Band gibt. Das heißt für mich ja, dass ich den Startpunkt ins Abenteuer Traurigkeit beliebig setzen kann, ergo auch bei dem neuesten Album Nightmares as Extensions of the Waking State. Da einem als norddeutschem Küstenbewohner ohnehin nachgesagt wird, dass die Ergründung der eigenen Gefühlswelt nicht zu den Stärken zählt – beziehungsweise das „darüber reden“ –, warum nicht einfach die Musik anderer sprechen lassen? Also, Katatonia, ich bin bereit!
Rumms! Thrice startet fulminant und driftet gegen Ende seicht ins Progressive. Ein guter Beginn, aber wirklich berührt fühle ich mich hier nicht. In The Liquid Eye kontrastieren sich die Soundlandschaften geschickt im hoffnungsvoll hymnischen Bereich mit progressiver Rhythmus-Arbeit. Die Stimme von Songwriter Renkse wirkt dabei zart, aber keineswegs zerbrechlich – eher nachdenklich und verträumt. So auch in Wind Of No Change. Das Stück ist allgemein druckvoller gehalten und wartet mit einem kurzen Wirkungstreffer als Refrain auf, der am ehesten das widerspiegelt, was ich mir im Vorfeld unter Katatonia vorgestellt habe. Im Kontrast mit der sehr stillen Strophe entfaltet sich hier – für mich das erste Mal – so etwas wie große Emotion, die mit herausragender Dynamik erzeugt wird. Lilac fühlt sich zum Teil an, als sei es Prog mit angezogener Handbremse, bevor sich der Song gegen Ende sachte auflöst und seltsamerweise dadurch Sinn ergibt. Temporal zeigt dann das ganz große Einmaleins des ergreifenden Prog-Metals mit angenehmer Doomkante. Sogar ein erstklassiges Solo wird dem Song spendiert, bevor im nächsten Song eine Ballade folgt.

Dem Herrn Renkse kann man ganz offenkundig in Sachen Songwriting nichts mehr vormachen, denn auch Warden klingt bis zum kleinsten Ton durchkomponiert und spielt gekonnt mit poppiger Dynamik. The Light Which I Bleed schlägt in eine ähnliche, allerdings wesentlich hymnischere Kerbe. So richtig eindringlich wird es dann mit Efter Solen. Gänzlich in schwedischer Sprache gesungen, verstärkt durch dezente Elektronika, ist das DER Song zum Innehalten. Hier wird mir erst die Emotionalität der Stimme Renkses in Gänze bewusst. Abermals dient ein kompletter Song danach als Kontrast, denn In The Event Of fährt mächtig auf und gibt denjenigen Interessierten und sicherlich auch den Fans einen runden Abschluss. Das jedenfalls blieb bei mir als Interpretation haften, da es gegen Ende unerwartet kraftvoll wird.
Was bleibt also hängen? Definitiv die Stimme, denn sie wirkt nicht besonders stark austrainiert oder kräftig, sondern lebt und atmet durch ihre fragile Emotionalität und Ausdrucksstärke. Die große Traurigkeit stellte sich bei mir dann auch nicht ein, ebenso keine Ergriffenheit. Ich kann aber besser nachvollziehen, warum es vielen Menschen da anders geht. Gerade nach mehreren Durchläufen nutzte sich das Album auch bei mir nicht ab, was ich erst einmal überraschend fand. Schließlich bin ich doch neu im Katatonia-Land und fühle mich jetzt nicht sofort heimisch – allerdings auch nicht fremd. Und genau hier greift Nightmares as Extensions of the Waking State. Es nimmt dich sanft in die Arme, ohne dich zu überfordern oder überwältigen zu wollen, und es lässt dich los, nur um dich danach wieder mit geöffneten Armen willkommen zu heißen. Es macht neugierig.
Sicherlich kein Meilenstein in der Diskographie, so ist es doch auch kein schlechtes Album – auch generell nicht. Mein Interesse an dieser Band ist damit jedenfalls geweckt, denn wenn mich diese Scheibe schon nicht umgeblasen hat, aber gewiss ihren Charme spielen lässt, so bin ich gespannt auf die Referenzwerke der Band, die wie keine andere für abgründige Traurigkeit steht.
Anspieltipps:
🔥Thrice
🎸Temporal
💀Efter Solen
Bewertung: 7,7 von 10 Punkten
TRACKLIST
01. Thrice
02. The Liquid Eye
03. Wind of No Change
04. Lilac
05. Temporal
06. Departure Trails
07. Warden
08. The Light Which I Bleed
09. Efter solen
10. In the Event Of