KNORKATOR – Weltherrschaft für Alle (2025)
(9.797) Olaf (9,0/10) Knorkator Rock

Label: DIY
VÖ: 12.09.2025
Stil: Knorkator halt
Drei Jahrzehnte Knorkator – 30 Jahre zwischen Genie und Wahnsinn, zwischen pubertärem Klamauk und messerscharfer Gesellschaftskritik, zwischen Fäkalhumor und musikalischer Virtuosität. Ich gebe zu, ich war skeptisch. Ein, zwei Singles im Vorfeld hatten mich eher nervös gemacht als euphorisch, und die Angst, dass meine Berliner Lieblings-Boygroup plötzlich die Peinlichkeit über die Ironie stülpt, war real. Doch als Weltherrschaft für Alle endlich lief, war’s um mich geschehen: sechsmal hintereinander rotierte das Album, ohne dass ich auch nur einmal auf „Stopp“ gedrückt hätte.
Dass Knorkator ihr Jubiläum nicht einfach mit einer schnöden Best-of-Scheibe begehen, sondern ein Werk zwischen Rückschau, Neuinterpretation und frischen Ideen erschaffen, ist typisch. Warum auch klein denken, wenn man „die meiste Band der Welt“ ist? Das Resultat ist ein Album, das auf perfide Weise alles bündelt, was die Band seit 1994 ausmacht – und das mir nach anfänglichem Fremdeln so sehr den Kopf verdreht hat, dass ich bei Buchstabe (neu eingespielt!) endgültig verloren war.
Der Beginn hat es in sich: Ismus strotzt vor typischen Wortspielen, wie nur Knorkator sie in dieser Qualität beherrschen. Unkraut liefert dazu ein textliches Feuerwerk, das wohl mit zum Besten gehört, was die Band in den letzten Jahren an Gesellschaftskritik verfasst hat. „Die einen nennen’s Natur, die andern Unkraut“ – dieser simple Satz allein entlarvt in seiner Doppeldeutigkeit das menschliche Bedürfnis, die Welt in Kategorien zu pressen, und tut das mit einer Leichtigkeit, die man sonst eher bei Philosophie-Professoren im Elfenbeinturm erwartet. Dann allerdings stolpere ich über Das Unheil – für mich der schwächste Moment auf der Platte. Doch mit dem Auftritt des alten Freundes Buchstabe kippt das Album von „okay“ in „absolut grandios“.
Und dann knallt’s. Steh auf klingt, als hätte man Knorkator 2004 eingefroren und jetzt wieder aufgetaut – bissiger Text, hymnisch, und von vorn bis hinten ein Fest. Die Mischung aus provokanter Direktheit und unterschwelliger Ironie ist klassisch Knorkator: ein Song, der einerseits wie eine Parodie auf Motivationshymnen wirkt, andererseits aber genau dadurch tatsächlich motiviert. Zwischen Pathos, Spott und echter Energie verschwimmen die Grenzen, und genau darin liegt die Magie dieser Band: sie schaffen es, mich gleichzeitig zum Lachen, Kopfnicken und Nachdenken zu bringen.

Mit Ich verachte Jugendliche schlagen Knorkator ein Kapitel auf, das man fast schon als Staffelstab-Übergabe deuten könnte. Stumpens Tochter Agneta und Alf Filus TimTom (denke ich zumindest) treten mit an die Front, während Stumpen selbst den Raum für die nächste Generation öffnet – natürlich nicht mit einem sanften Wiegenlied, sondern mit einem Song, der schon im Titel provoziert. Ein Theremin flirrt im Hintergrund, als wolle es außerirdische Zeugen für diesen Moment herbeirufen.
Wo andere Bands sich beim Thema Nachwuchs in rührseligen Klängen verlieren, werfen Knorkator die nächste Generation ins eiskalte Wasser – und das mit einem ironischen Grinsen, das man selbst durch die Lautsprecher spürt. Für mich ist dieser Song mehr als nur eine schräge Neuinterpretation auf einem Jubiläumsalbum. Er zeigt, dass Knorkator bereit sind, die eigenen Flegelhaftigkeiten an ihre Nachkommen weiterzugeben, ohne an Biss zu verlieren. Wenn das die Zukunft der „meisten Band der Welt“ ist, mache ich mir keinerlei Sorgen – im Gegenteil: ich freue mich auf die nächsten 30 Jahre.
Das Verrückteste: Knorkator haben ernsthaft DMT Dimethyltryptamin vertont. Ein Stoff, der für psychedelische Trips steht, wird hier zum wohl härtesten Song der Band seit Jahren. Ein groovendes Biest, dessen großartiger Refräng mir noch nach Stunden im Ohr hängt.
Doch das Beste hebt man sich für den Schluss auf. Halb voll ist für mich der stärkste Song der letzten Dekade – melancholisch, bitter, aber auch unverschämt eingängig. Liebeslied – ohnehin ein Klassiker – kommt jetzt mit Streichern daher, Celli und Geigen, die mich eiskalt erwischen und zu Tränen rühren. Evolution nimmt das Musikbusiness so herrlich auf die Schippe, dass man sich zwischen Lachen und Kopfschütteln nicht entscheiden kann. Hardcore klingt tatsächlich wie frisch produziert, als wäre die Nummer nie älter geworden. Und wenn AC/DC loslegt, muss man unweigerlich grinsen, bis dann Ick wer zun Schwein, der kultige ESC Vorentscheid-Song von 2000 alles sprengt: Nostalgie, Ironie, pure Ekstase.
Unterm Strich ist Weltherrschaft für Alle genau das, was der Titel verspricht: ein Manifest, eine Selbstkrönung und ein Geschenk an die Fans. Ein Album, das Vergangenheit und Gegenwart bündelt, mit Hirn und Humor gleichermaßen punktet und mich überzeugt hat, dass Knorkator nicht alt werden, sondern nur raffinierter. Ich war skeptisch, ich war ängstlich, und ich bin krachend eines Besseren belehrt worden. Knorkator feiern sich selbst und uns mit einem Album, das zeigt: Weltherrschaft ist gar nicht so abwegig, wenn man sie mit Humor, Streichern und einem Theremin angeht.
Bewertung: 9,0 von 10 Punkten
TRACKLIST
01. ISMUS
02. Unkraut
03. Das Unheil
04. Buchstabe 2025
05. Steh auf
06. Ich verachte Jungendliche 2025
07. DMT
08. Halb voll
09. Liebeslied 2025
10. Evolution
11. Hardcore 2025
12. AC/DC
13. Ich wer zun Schwein 2025