HELLDRIFTER – Shell of Inexistence (2025)
(9.574) Olaf (8,9/10) Death Metal

Label: Violent Creek Records
VÖ: 16.05.2025
Stil: Death Metal
Wenn man aus Stuttgart kommt, hat man zwei Möglichkeiten: Entweder man fährt Mercedes – oder man driftet durch die Hölle. Letzteres trifft auf HELLDRIFTER zu, eine Band, die seit 2018 alles daran setzt, Death Metal nicht nur zu spielen, sondern ihn mit Thrash, Prog und einer Prise Wahnsinn zu vermengen. Ich erinnere mich noch gut, wie mir Lord of Damnation seinerzeit eher zufällig auf die Ohren fiel – ein Album, das in der Pandemie entstand, ein bisschen wie ein Schnellschuss wirkte, aber zweifellos Potenzial versprach. Nun schreiben wir 2025, und Shell of Inexistence bringt all das zur Explosion, was damals nur angedeutet wurde.
Sänger Billy Kolins ließ in unserem Gespräch keinen Zweifel daran, dass Shell of Inexistence nicht einfach nur ein Nachfolger ist – es ist die eigentliche Geburtsstunde der Band im Studio. Wo früher „ein grobes Gerüst“ in Corona-Hektik entstand, steht heute ein durchdachtes, detailverliebtes Werk, das technisch wie kompositorisch auf einem neuen Level spielt. Die Band klingt nicht nur reifer, sondern auch deutlich vielseitiger – irgendwo zwischen Death Metal der alten Schule, kantigem Thrash und progressiven Strukturen, die ganz bewusst mit Erwartungen spielen.
Billy beschreibt es selbst als „Frankenstein-Monster aus Groove, Anspruch und Ohrwurmqualität“ – und ja, besser kann man es kaum ausdrücken. Die Gitarrenarbeit von Vasilis und Ben ist virtuos, abwechslungsreich und jederzeit nachvollziehbar. Kein unnötiges Gefrickel, sondern punktgenaue Hooks und Soli, die sich nicht selbst feiern, sondern der Songidee dienen. Gerade in Zeiten technischer Überladung ein echtes Ausrufezeichen.
Was HELLDRIFTER allerdings von vielen anderen Extrem-Metal-Acts unterscheidet: Sie schreiben Refrains. Ja, richtige Refrains. Mit Wiedererkennungswert. Mit Wiederhör-Reiz. Mit Hooks, die man mitsummen will, obwohl sie eigentlich zu finster sind, um sie beim Abwasch zu trällern. Dazu kommt eine textliche Ebene, die statt Pathos lieber auf Beobachtung setzt – von atomarer Apokalypse über gesellschaftliche Abgründe bis hin zu psychologischen Tiefenbohrungen. Die Zeilen sind nicht platt oder prätentiös, sondern gut phrasiert, intelligent gesetzt und in der Musik fest verankert. Man merkt, dass hier jemand nicht nur Frontmann, sondern auch Denker ist.
Tracks wie Martyrs of a dying Age oder Beyond the Grave verbinden diese textliche Tiefe mit melodischer Eingängigkeit – und klingen dabei kein bisschen weichgespült. Im Gegenteil: Das hier ist hart, aber herzlich. Anspruchsvoll, aber zugänglich. Und wenn man Shell of Inexistence hört, kann man wirklich für einen Moment glauben, Chuck Schuldiner habe ein paar Outtakes in den Stuttgarter Proberaum geschmuggelt.

Klanglich bewegt sich das Album irgendwo zwischen dumpfem 90er-Brett und moderner Klarheit. Der Mix wirkt organisch, der Sound schön knarzig. Kein Loudness-War-Geballer, sondern differenzierter Druck, der gerade deshalb so intensiv wirkt. Produzent Roland Böffgen hat hier gemeinsam mit der Band eine wuchtige, aber nie überladene Klangarchitektur gebaut, während Kai Stahlenberg im Kohlekeller-Studio mit einem wunderbar unaufdringlichen Mastering dafür sorgt, dass die Songs atmen können. Billy betonte im Gespräch mehrfach, wie wichtig ihnen ein „echter“ Sound war – ohne sterile Glättung, ohne künstliches Aufblasen. Und das hört man. Man fühlt sich nicht wie in einem polierten Studio, sondern eher wie in einem feuchten Bunker mit gutem Equipment. Also genau dort, wo Death Metal hingehört.
Abgerundet wird das Paket durch ein gelungenes Artwork von Giannis Nakos, das laut Billy auf einer ganz persönlichen Idee basiert – einer Hand, Symbol für unser Handeln zwischen Gut und Böse. Dass dieses Bild genau so umgesetzt wurde, wie es in seinem Kopf entstand, grenzt an ein kleines Wunder – aber offenbar war die Zusammenarbeit mit Nakos ein echter Glücksgriff. Und dann wäre da noch der Deal mit Violent Creek Records, abgeschlossen laut Aussage des Frontmanns „nach ein paar Ouzos in der Kneipe“, aber wohlüberlegt. Dass das Label eher Thrash-orientiert ist, stört die Band nicht – im Gegenteil: die stilistische Bandbreite auf Shell of Inexistence macht sie zum idealen Bindeglied zwischen Thrash, Death und Progressive Metal. Billys Fazit: „Wir finanzieren nicht unser Leben durch die Musik – wir finanzieren die Musik durch unser Leben.“ Treffender kann man den DIY-Geist dieser Truppe nicht beschreiben.
HELLDRIFTER haben mit Shell of Inexistence ein Album vorgelegt, das all das vereint, was modernen Death Metal ausmachen kann: Härte, Anspruch, Melodie – und überraschend starke Refrains. Es ist abwechslungsreich, klug komponiert, stark getextet und mit einer wuchtigen, aber nie sterilen Produktion versehen. Wer glaubt, dass im Death Metal keine Ohrwürmer möglich sind, wird hier eines Besseren belehrt. Und wer denkt, Stuttgart könne nur Automobilbau, sollte dringend mal in dieses Album reinhören. Da ist richtig Dampf auf dem Kessel – und der kommt nicht von Daimler.
Anspieltips
🔥Martyrs of a dying Age
💀Beyond the Grave
🎸Shell of Inexistence
Bewertung: 8,9 von 10 Punkten
TRACKLIST
01. Martyrs of a dying Age
02. Suicide Strike
03. Ark of Doom
04. Cosmic Justice
05. Beyond the Grave
06. Deception
07. Reckoning in Blood
08. Devine command
09. Flesh from Bone
10. Shell of Inexistence