MYTHERINE – Lord of Mountains (2025)
(9.957) Olaf (8,6/10) Melodic Death Metal
Label: DIY
VÖ: 14.11.2025
Stil: Melodic Death Metal
Manchmal frage ich mich, was in meiner Heimatstadt ins Trinkwasser gemischt wird. Denn während andere Städte krampfhaft versuchen, irgendeine Form von modernem melodic Death Metal aus dem Boden zu stampfen, setzen meine Landsleute von MYTHERINE einfach still und heimlich ein Qualitätsniveau hin, dass man sonst eher von nordischen Bandriesen erwartet. Und jetzt, gerade einmal 14 Monate nach ihrer starken 2024er EP, schieben sie mit Lord of Mountains schon das nächste vollwertige Album hinterher. Fleißbienchen? Nein. Eine ganze Bienenkönigin mit Hofstaat.
Ich erinnere mich noch gut, als ich damals ihr kurzes, aber mächtiges Lebenszeichen durch die Berliner Nacht gejagt habe und dachte: „Wenn die das Album ähnlich gut machen, könnte das spannend werden.“ Und jetzt sitze ich hier, Kopfhörer auf, Nackenwirbel locker, und stelle fest, dass MYTHERINE nicht nur abliefern – sie wachsen. So, wie man es von einer Band erwartet, die ihre Wurzeln ernst nimmt und trotzdem den Blick in ihre eigene, fiktive Mythologie richtet. Rein musikalisch nennen sie ihren Stil laut Info-Sheet einen hybriden Mix aus melodischem, progressivem und leicht schwarzmetallisch gewürztem Death Metal, inspiriert von Tolkien, Witcher und Dark Souls. Und ja – das hört man. Aber noch viel wichtiger: Man spürt es.
Dieser DIY-Geist, mit dem sie seit 2011 durch die Unterwelt der Hauptstadt schleifen, wirkt inzwischen nicht mehr wie Improvisation, sondern wie bewusst gewählter Stil. Ein Markenzeichen. Mix von Tom EXA, Master von Lasse Lammert – klingt also nicht nach Proberaum, sondern nach echtem Anspruch. Und wenn man den Namen MYTHERINE hört, könnte man theoretisch in die symphonische Kitschfalle tappen. Wird ja gerne gemacht: große Schriftzüge, finstere Cover, orchestrale Begriffe – und am Ende bekommt man Plastik-Metal. Aber hier? Keine Spur von Gedudel. Keine Spur von Kitsch. Hier gibt’s Amon Amarth – in gut. In sehr gut sogar.
Denn Lord of Mountains ist voll von diesen kraftvollen, eingängigen, aber niemals anbiedernden Death-Metal-Melodien, die einerseits sofort im Ohr hängen bleiben, andererseits aber nicht in Richtung weichgespülter Stadionhymne kippen. Die Arrangements sind detailverliebt und wirken organisch: Orchestrale Elemente tauchen genau dann auf, wenn sie gebraucht werden, und verschwinden wieder, sobald die musikalische Erzählung genug Druck aufgebaut hat.
Es gibt auf diesem Album reichlich Rüben-Schüttel-Potenzial. Immer, wenn ich dachte: „Okay, jetzt wird’s bestimmt mal ruhiger…“, kommt der nächste Gitarrenwall, der nächste heroische Leadpart oder ein Schlagzeugdrive, der einen förmlich aus dem Sitz hebt. Das Songwriting wirkt gereifter als auf früheren Werken. Wo das 2015er Debüt noch etwas suchend klang, ist Lord of Mountains fokussiert, souverän und mit spürbarer Handschrift versehen: melodisch, bissig, bildgewaltig. Die neuen Songs wirken wie präzise geschriebene Kapitel eines fortlaufenden Epos, das MYTHERINE mit jedem Release erweitert. Kein Track wirkt isoliert, jeder gehört zu einem größeren Ganzen. Eine Welt, die sie selbst geformt haben, eine, die stilistisch irgendwo zwischen Mythos, Melancholie und martialischer Erhabenheit schwebt.
Die Produktion schiebt ebenso wie sie glänzt: warm, druckvoll, modern ohne steril zu werden. Die Gitarren klingen satt, zweistimmig dort, wo es episch wirken soll, und sägend dort, wo der Biss gefragt ist. Der Bass knurrt herrlich eigenständig, und das Drumming von Christian setzt die richtige Mischung aus Groove, Dynamik und Wucht. Saschas Vocals liegen wie ein erzählender Sturm über allem: rau, präsent und voller Charakter. Kurz gesagt: Lord of Mountains ist ein Album, das sich nicht anbiedert. Es ist selbstbewusst, fein ausgearbeitet und gleichzeitig roh genug, um Authentizität zu bewahren. Und es bleibt dabei unverschämt zugänglich – Death Metal mit Anspruch und Hymnenpotenzial.
So beeindruckend der DIY-Weg bislang war – jetzt wäre es wirklich Zeit, dass ein Label diese Band einsackt. MYTHERINE haben das Niveau, die Professionalität und die Vision, um weit über die Szenegrenze hinaus wahrgenommen zu werden. Und ein bisschen Rückenwind von außen würde diesen ohnehin schon starken Songs sicher gut stehen.
Lord of Mountains klingt nach einer Band, die ihre eigene Welt erschaffen hat – und in ihr herrscht sie inzwischen absolut souverän. MYTHERINE liefern melodischen Death Metal voller Bilder, Energie und Weite, mit starken Arrangements, druckvoller Produktion und einer künstlerischen Identität, die sich nicht mehr hinter irgendjemandem verstecken muss. Ein Album, das wächst, trägt, bebt und begeistert. Und eines, das endgültig zeigt: Berlin kann nicht nur Techno. Berlin kann epischen Death Metal – und das auf verdammt hohem Niveau.

