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BAEST - Colossal (2025)
(9.733) Olaf (8,7/10) Thrash/Death Metal

Label: Century Media
VÖ: 15.08.2025
Stil: Thrash’n‘Roll
Irgendwann muss man sich entscheiden: Bleibt man in der sicheren Komfortzone – oder wirft man sich in die ungewisse, manchmal waghalsige Freiheit der eigenen Ideen? BAEST haben sich 2024 mit ihrer ersten Single für letzteres entschieden. Und wie! Die vierte Platte Colossal trägt nicht nur einen großen Namen, sie erfüllt ihn auch – mit einem Sound, der so viel mehr ist als ein weiteres Death-Metal-Album aus Skandinavien.
Die Dänen gehen mit ihrem vierten Studioalbum auf volles Risiko: weniger Blastbeats, mehr Grooves. Weniger Death, mehr Metal. Weniger Nackenstarre, mehr Stirnrunzeln – zumindest beim ersten Hören. Denn Colossal ist ein Album, das sich nicht aufdrängt. Es will entdeckt werden. Am besten nachts, mit Kopfhörern, leichtem Kopfschmerz und einer Flasche Rotwein. Wer Colossal einmal durchdringt, will es nicht mehr hergeben.
In unserem Interview gab Gitarrist Svend Karlsson tiefe Einblicke in den Entstehungsprozess: „Wir haben mit der Justitia-EP erste Schritte raus aus dem klassischen Death Metal gemacht. Da war plötzlich diese Erkenntnis: Wir dürfen alles. Und wir wollen auch.“ Der Song Imp of the Perverse ist ein Relikt aus dieser Übergangszeit – und der einzige Track, der noch an das alte BAEST erinnert, inklusive Blastbeats, Chaos und klassischem Geknüppel. Der Rest? Ein Manifest der Veränderung.
Der Titeltrack Colossus beispielsweise atmet das Pathos von Iron Maiden, stampft wie ein Elefant auf Speed und stellt mit Zeilen wie „Crushed under the weight of the Colossus“ nicht nur eine antike Allegorie her – sondern auch den perfekten Soundtrack für den inneren Zusammenbruch unserer Zeit. Hier wird die Idee von Metal as Mythos lebendig. Und in King of the Sun treffen wir plötzlich auf Jesper Binzer, den charismatischen Frontmann von D-A-D, der die Nummer zu einer regelrechten Thrash’n’Roll-Hymne adelt. Karlsson erklärt dazu: „Es fühlte sich einfach richtig an. Wir wollten was anderes. Und Jesper ist einfach Rock’n’Roll pur. Dass er sofort Bock hatte, war ein Ritterschlag.“

Auch lyrisch ist Colossal ein anderer BAEST. Natürlich wimmelt es noch immer von Sturmbringern, Erebos, Thanatos und anderen griechischen Krawallgöttern – aber der Ton ist epischer, nachdenklicher, dichter. Schon Stormbringer beginnt mit einem Donnergrollen in Textform: „Bow to me earthly sinner / It is I, the Stormbringer“ – das klingt nicht nur wie das Drehbuch zum nächsten Ragnarök, sondern liest sich wie eine Warnung an die Menschheit, endlich Demut zu lernen.
In In Loathe and Love schwingt eine fast schon savatagehafte Melancholie mit: „We forgot time, time and again / Until we got forgotten by time.“ Das ist Poesie aus dem Moshpit, geschrieben von einer Band, die nicht mehr nur provozieren will, sondern berühren. Und Depraved World schließlich, das Finale: Eine sechsminütige Abrechnung mit der Moderne. Der Text changiert zwischen Weltekel, Resignation und Schönheit im Untergang: „Sweet violent bliss / Its gorgeousness and gorgeosity, insanity made flesh“ – das ist viel mehr als stumpfes Death-Metal-Gekeife. Das ist Sprachkunst.
Tue Madsen hat im Antfarm Studio die passende Klangarchitektur gebaut. Nichts klingt zu glatt, aber auch nichts matscht. Die Gitarren klingen klar und bissig, der Bass ist fett wie dänischer Blauschimmel, die Drums grooven dreckig und direkt. Und Sänger Simon Olsen? Der hat sich gemausert. Mal giftig, mal tief, mal fast hymnisch – seine Stimme trägt das Album durch all seine stilistischen Wendungen. Karlsson bringt es auf den Punkt: „Wir wollten Musik machen, die uns selbst Spaß macht. Wir haben jahrelang für andere geschrieben – jetzt schreiben wir für uns.“
Das hört man in jeder Note. Der Einfluss von Dokken, Accept, Zakk Wylde, Ozzy – er ist spürbar, aber nie peinlich oder aufgesetzt. Vielmehr wirkt Colossal wie eine Rückkehr zu den musikalischen Wurzeln der Bandmitglieder selbst. Und genau das ist ihre größte Stärke.
Colossal ist kein einfacher Brocken. Es ist kein „instant classic“, der sich beim ersten Hören ins Ohr schraubt. Vielmehr braucht dieses Album Zeit, Raum und Bereitschaft. Wer sich darauf einlässt, wird mit einem wuchtigen, vielschichtigen und unglaublich selbstbewussten Werk belohnt, das beweist: BAEST sind keine reine Death-Metal-Band mehr. Sie sind eine echte Heavy-Metal-Macht. Mit Seele. Mit Stil. Und mit Vision. Oder wie Svend so schön sagte: „Es geht nicht darum, was die Szene will. Es geht darum, was wir können. Und das ist mehr als Blastbeats.“
Anspieltips:
🔥Colossus
🎸King of the Sun
🔥Imp of the Perverse
Bewertung: 8,7 von 10 Punkten
TRACKLIST
01. Stormbringer
02. Colossus
03. In Loathe and Love
04. King of the Sun
05. Imp of the Perverse
06. Misfortunate Son
07. Mouth of the River
08. Light the Beacons
09. Depraved World