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Q&A – Das Interview: YARDFIELD COLONY
Leben im Wohlstand auf Kosten anderer
Ein klirrend kalter Dezemberabend in Sachsen. Drinnen lodert ein Kaminfeuer, doch aus den Boxen dringt statt besinnlicher Klänge ein wütendes Grollen. Yardfield Colony, seit 2012 im Untergrund aktiv, haben soeben ihr neuestes Werk The Doomestication entfesselt – ein Album, das die Gemütlichkeit der eigenen vier Wände mit der Urgewalt des Death Metal kollidieren lässt.
Die Band, die bereits mit Szenegrößen wie Cattle Decapitation, Suffocation und Memoriam Bühnen geteilt hat, präsentiert darauf eine faszinierende Mischung aus roher Aggression, technischer Finesse und morbider Ironie.
Wir haben die sächsische Todesblei-Kolonie zum Gespräch gebeten – irgendwo zwischen gemütlichem Wohnzimmersessel und dem Abgrund der Weltordnung, um über stilistische Verfeinerungen, schräg-geniale Songtitel und die Abgründe der Verhäuslichung zu plaudern.
Hallo zusammen und vielen Dank, dass ihr euch die Zeit nehmt. Wie geht’s euch denn so kurz nach Release von The Doomestication? Seid ihr schon komplett domestiziert oder noch am Ausrasten vor Freude?
Till: Wir sind noch nicht komplett domestiziert, sondern tatsächlich noch ziemlich ungezähmt und wild. Wenige Tage nach dem Release vom letzten Album „The Absorption“ wurde aufgrund von Corona der Lockdown verhängt, da war nichts mit großen Feiern und Konzerten. Das können wir jetzt hoffentlich alles nachholen und müssen nicht erneut in unseren vier Wänden verhäuslichen. Über fünf Jahre Arbeit sind in das Album geflossen, es gab diverse Besetzungswechsel, Höhen und Tiefen. All das hat die Platte geprägt und wir sind unglaublich stolz auf das Resultat, aber auch erleichtert. Dass wir das Ganze mit einer geilen Release Show in Dresden feiern durften, beflügelt natürlich zusätzlich.
Euer Pressetext verspricht eine klare stilistische Verfeinerung auf The Doomestication: von „moderner Rhythmik, starken Melodien, verspieltem Bass“ bis hin zu „noch aggressiverem und variablerem Gesang“. Wie würdet ihr selbst diese Entwicklung beschreiben? Was ist neu oder anders an eurem Sound anno 2025?
Joachim: Wir hatten fünf Jahre Zeit zu üben, Dinge auszuprobieren und besser zu werden. Dieses Mal haben wir darauf geachtet, den Gesangslinien und den verschiedenen Stimmlagen mehr Freiheiten zu lassen.
Als erstes im Songwriting steht bei uns meist das instrumentale Grundgerüst. Ich habe meist schon viele Ideen bezüglich Songtiteln und Textphrasen und überlege dann, was die Musik bei mir auslöst, welche Stimmung und Gefühle sie vermittelt, welcher Titel passt und was ich ausdrücken will. Dann schreibe ich die Texte und Gesangslinien. Gemeinsam wird dann alles durchgegangen und überlegt, was noch geändert werden muss oder ob es kleine Raffinessen gibt, die das Gesamtergebnis besser machen. Des Weiteren haben wir diesmal teils auch die Instrumente an den Gesang angepasst. Früher hatten wir uns diese Freiheiten nicht so stark genommen.
Ich finde diesen Schritt auf jeden Fall so viel besser und ich konnte mich freier entfalten, so dass die jeweils gewollten Stimmungen besser zum Ausdruck kommen. Death Metal Gesang sollte nicht nur ein zusätzliches Rhythmusinstrument sein. Haha. Mir persönlich ist es auch wichtig, dass die Stimme einen Wiedererkennungswert hat und nicht wie die tausendste Kopie von irgendwas klingt, abwechslungsreich ist und dass man die Texte versteht.
Till kam am Bass 2020 dazu, auch sein Einfluss im Songwriting ist auf dem neuen Album spürbar. Die Jungs an der Gitarre haben auch noch mal ein paar Schippen draufgelegt und konnten sich beim Songwriting auch freier entfalten.
Till: Wir haben versucht im Vergleich zu unserem älteren Material die Songstrukturen für den Hörer nachvollziehbarer zu gestalten. Unser Gitarrist Patrick hat großartige Melodien geschrieben, die ins Ohr gehen, ohne zu eingängig oder „poppig“ zu klingen. Auch beim Gesang hilft die ein oder andere Wiederholung einfach leichter im Ohr hängen zu bleiben. Früher haben wir da vielleicht etwas zu viel variiert. Technisch haben wir nochmal einen großen Sprung gemacht, versuchen aber immer alles songdienlich zu halten. Ich habe bei mancher sehr technischer Musik das Gefühl, dass bewiesen werden muss, wie gut man am Instrument ist, ohne dabei songdienlich zu agieren. Das wollten wir verhindern. Manchmal hilft auch eine gewisse Simplizität.
Kurz vor dem letzten Album musste mein Vorgänger am Bass leider die Band verlassen, da wurde der Bass spontan von Patrick übernommen. Da war wenig Zeit für Finessen. Dieses Mal hatte ich genug Zeit mich auszutoben und der Musik eine zusätzliche Facette zu geben.
Inhaltlich seid ihr mit The Doomestication ja in einem ungewöhnlichen Themenfeld unterwegs. In unserem Review wurde angemerkt, eure Texte vermittelten ein Gefühl von Kreislauf, Zwang und Zerfall, ohne in Plattitüden abzurutschen. Im Titelsong heißt es: “The world has to be reset again and again / Devastate to create, create to domesticate.” – da schwingen gesellschaftliche, psychologische und existenzielle Fragen mit. Was steckt hinter diesem Konzept der „Domestizierung“ und dem drohenden Unheil? Taucht ihr da bewusst in menschliche Abgründe ein?
Joachim: Ich möchte mich bedanken, dass du dir die Zeit nimmst die Texte zu lesen. Und ja, du siehst es genau richtig. Mir ist sehr wichtig, dass man bei meinen Texten zwischen den Zeilen lesen kann und Platz für Interpretationsfreiraum vorhanden ist.
Das Konzept zum Album ist aus mehreren Teilen zusammengekommen: Die Menschen werden immer fauler, bequemer, denken nicht mehr selbst nach, sondern verlassen sich auf Technik. Aber jeder möchte der Beste sein, sich über alles stellen. Man merkt gar nicht, wie man sich zum Teil selbst verhäuslicht, selbst limitiert, physisch und psychisch einsperrt und auch durch Repressalien, Reglementierungen, Gesellschaftsmeinungen einsperren lässt.
Zum anderen maßen wir Menschen uns an über allem zu stehen ohne Rücksicht auf unsere Mitmenschen. Wir beuten die Natur aus, ohne nachzudenken, was für langfristige Konsequenzen unser fahrlässiges Handeln hat. Hier wurden bewusst andere Tiere gewählt, die über uns Menschen stehen, die Hyäne zum Beispiel. Die Hyäne gilt als hinterlistiger, gieriger Aasfresser, aber auch als Raubtier, sie hält uns den Spiegel vor.
Der Mensch sperrt Personen und Tiere ein und beutet sie aus. Er wird aber auch von seinesgleichen eingesperrt, teilweise von sich selbst. Ich möchte hier folgende Textzeile hervorheben:
„We all are born unknowing, we wish to live as a gorgeous buck. We all are born as a maggot, we will die as a fat bug in a rusty cage. Hierarchy of hyenas.“
Wir leben fett und glücklich in unserem Käfig, leben im Wohlstand auf Kosten anderer, ohne uns Bewusst zu sein, wie gut es uns geht.
Apropos bissig: Eure Songtitel sind ja auch nicht ohne. „Warmasturbator“ oder „Phantom Scapegoat“ springen dem Hörer sofort ins Auge. Wie zur Hölle kommt man auf solche Titel – pure Provokation, schwarzer Humor, oder steckt da ein Konzept dahinter?
Joachim: Haha. Der Mensch ist die beste Inspiration für meine Texte und so werde ich immer guten Stoff haben. Als guter Beobachter findet man leider grenzenlose Missstände und Probleme, über die man singen kann, die einen selbst beschäftigen, alle aus dem menschlichen Leben genommen. Wir haben einfach keine Lust, wie im Death Metal leider üblich, ständig über Tod, Vergewaltigung, Gewalt als etwas positives zu singen, sowie frauenverachtende Texte zu schreiben. Und auch nicht über Aliens. Haha. Das ist zu stumpf.
Bei „Phantom Scapegoat“ zum Bespiel geht es darum, dass die Menschen häufig nicht zu Ihrem eigenen Handeln und Aussagen stehen und stets einen Sündenbock brauchen. Wenn Sie keinen finden können, dann müssen sie sich einen erfinden, wie ein Phantom, welches nicht wirklich da ist.
„Warmasturbator“ soll mit Absicht sehr provozieren. Das ist ein absoluter Antikriegssong. Mir war es wichtig nicht den zehntausendsten Warmaster zu besingen. Da finde ich folgende Textpassage ganz bezeichnend:
„Be actor or spectator or both in one. The show of power must go on.“
Lest euch den Text gern durch, dann wisst Ihr, was ich meine. Letztendlich tragen alle Songs einzeln zu dem „Doom“ des Albums bei.
Euer Album habe ich ja nicht nur für seine inhaltliche Tiefe gelobt, sondern auch soundtechnisch habt ihr vieles richtig gemacht. Ich war begeistert, denn es ist keine sterile, totproduzierte Modern-Wischiwaschi-Scheibe, hier stecke „Leben drin. Und Groove. Und Hirn.“. Außerdem vereine The Doomestication all das, woran andere Bands scheitern – moderne, druckvolle Produktion und organischer Klang, Technik und Musikalität, Groove und Härte – ihr macht es einfach. Wie schafft man diesen Spagat? Habt ihr beim Songwriting oder im Studio bewusst darauf geachtet, nicht in die „Plastiklandschaft“ abzurutschen?
Till: Wie bereits erwähnt versuchen wir technische Finesse nicht zum reinen Selbstzweck verkommen zu lassen. Wenn etwas nicht gut im Song funktioniert, dann muss man etwas ändern. Weniger ist manchmal mehr. Das bei uns viele verschiedene musikalische Einflüsse zusammenkommen, denke ich ist der Grund für die von dir angesprochene Abwechslung. Jeder darf seinen Input geben und wir entscheiden sehr demokratisch. Vielleicht verderben viele Köche nicht immer den Brei.
Wir sind mit unserer groben Soundvorstellung zu unserem Zauberer hinter dem Mischpult gegangen. André Hofmann nimmt sich immer die Zeit alles was möglich ist umzusetzen und hat sehr viel Geduld mit uns. Er ist ein sehr großer Teil des Sounds und produzierte bisher all unsere Scheiben.
Joachim: Sehr wichtig ist auch, dass der Gesang live umsetzbar ist. Legt man ein paar Dutzend Stimmen übereinander, klingt es schnell überproduziert und live kann man es eh nicht umsetzen. Viel wichtiger ist uns, dass der Gesang authentisch und etwas roh wirkt. Da wird Aggressivität viel besser transportiert.
Die entspannte Arbeitsatmosphäre mit André trägt zum Gesamtergebnis bei. Wenn man zwischen den Aufnahmen vor lauter Lachen mit Tränen in den Augen am Küchentisch sitzt und seine Mutter uns mit erstklassiger fränkischer Hausmannskost versorgt, schlägt sich das auch positiv auf die Musik nieder.
Nach dem Motto „Hier sitzt Qualität im Maschinenraum“ wundert man sich beim Hören wirklich, dass ihr immer noch ohne Label unterwegs seid. In unserem Review wurde provokant gefragt: „Warum zum Teufel haben die keinen Plattendeal?!“ – gefolgt von der Feststellung, dass ihr zehn anderen Bands locker das Wasser reichen könnt. Wie steht ihr selbst zu dem Thema? Ist DIY eure bewusste Wahl, oder schlafen die Labels da draußen einfach?
Till: Vielen Dank für dein Lob. Dass wir unser Album ohne Label veröffentlichten, hat verschiedene Gründe. Wir müssen ehrlich zugeben, dass wir das Thema Social Media viele Jahre sträflich vernachlässigten. Da hilft auch kein Phantom Sündenbock weiter. Wenn du dich als „kleine“ Band bei einem Label bewirbst, dann nimmt dich wahrscheinlich keiner wahr. In den letzten 1-2 Jahren haben wir da wesentlich mehr Fahrt aufgenommen, viel Zeit investiert und uns ausprobiert. Schade ist ein bisschen, dass von den Labels zum Teil gar keine Antwort kam, auch keine Absage. Das hat auch ein bisschen mit Respekt für die Bands zu tun. Für einen Zweizeiler hat jeder mal kurz Zeit.
Erfolge zeigen sich, aber es ist noch ein langer Weg. Auch wenn es abgedroschen klingt: wer uns unterstützen möchte, kann dies bereits mit etwas Interaktionen in den sozialen Medien machen.
Leider ist die ganze Arbeit in diesem Bereich nötig. Wenn ich daran denke, dass ich dieses Jahr mehr Zeit mit Videos, Werbung etc. als mit meinem Instrument verbracht habe, ist das wirklich schade, aber heutzutage einfach nötig.
Wer euch schon länger kennt, weiß, dass The Doomestication keineswegs euer erstes Lebenszeichen ist. 2017 kam eure Debüt-EP The Procession, 2020 dann das Album The Absorption, und nun – fünf Jahre später – Album Nummer zwei. Wie blickt ihr auf eure Bandgeschichte und die vergangenen Releases zurück? War dieser Weg vom Erstling bis heute eine konsequente Steigerung?
Joachim: Ja definitiv. Man sollte sich stets vom Kopf und vom Können her weiterentwickeln. Im Privaten, Beruflichen und auch bei den Hobbies. Es gibt so viele tolle Bands, die einfach geniale Musik kreieren und weiterentwickeln, so dass man sich auch dafür nicht verschließen, sondern eher inspirieren lassen sollte und nicht auf dem musikalischen Stand von einer Band sein, die man damals mit 14 gehört hat.
Wir sind grad ein super Haufen von fünf Personen, die offen für vieles sind, gerne gemeinsam lachen und Bock haben, zusammen Musik zu erschaffen und deren unterschiedliche Musikgeschmäcker dazu beitragen.
Auf euren Bandfotos muss man ja manchmal zweimal hinschauen: mal steht ihr zu viert im Bild, mal zu fünft. Wie kommt’s – hattet ihr zeitweise einen unsichtbaren fünften Mann, oder hat sich da jemand weggedomestiziert? Klärt uns doch mal auf, wie eure Besetzung nun eigentlich aussieht und warum die Zahlen schwanken.
Till: Unser Album haben wir zusammen mit Kris am Schlagzeug geschrieben. Er hat wirklich tolle Arbeit geleistet. Leider trennten sich unsere Wege Ende 2024. Deswegen gibt es in der Promo zum Album sowohl Bilder mit als auch ohne ihn.
Es folgte eine längere Periode ohne Drummer, da wir einfach keinen geeigneten fanden. Schlagzeuger sind Mangelware. Wenn man dann auch noch ein gewisses Tempo vorrausetzt, dünnt sich das Feld der Möglichkeiten schnell aus, da die meisten Trommelwütigen schon gefühlt in 10 Bands spielen.
Wir sind froh, dass wir unseren neuen Mann hinter den Kesseln gefunden haben: Florian ist sowohl musikalisch als auch menschlich top. Bei uns sind alle gespannt, wie er das nächste Kapitel der Kolonie beeinflussen wird. Im Musikvideo zu „Flashbacks“ hatte er bereits ausgeholfen, irgendwann hatte ihn dann doch die Lust bzw. die Hyäne gepackt.
Damit sind wir auch schon am Ende unseres kleinen Ausflugs in eure Welt. Habt ihr zum Abschluss noch jene berühmten letzten Worte für unsere Leser?
Joachim: Vielen Dank an alle, die sich die Zeit genommen haben, unsere Wortgasmen bis zum Schluss durchzulesen. Wir würden uns freuen, euch vielleicht mal bei einem Konzert kennenzulernen und zu quatschen. Und vielen Dank für den Support, den wir bisher erhalten haben. Wir wünschen einen wunderschönen Jahresausklang mit den Menschen, die euch wichtig sind. Seid stets frei und wild, achtet auf ein respektvolles miteinander und fügt niemandem Schaden zu.
Yardfield Colony haben mit The Doomestication ein Statement gesetzt, das modern und doch authentisch aus den Boxen dröhnt. Die Band präsentiert sich humorvoll und bodenständig – aber mit einem klaren Blick für die Abgründe, die sich hinter häuslicher Gemütlichkeit auftun. Wer also noch auf der Suche nach dem Soundtrack für den nächsten Weltuntergang im Wohnzimmer ist, sollte hier zugreifen. In diesem Sinne: bleibt wild, bleibt heavy!

