DER WEG EINER FREIHEIT - Innern (2025)
(9.794) Olaf (9,0/10) Post Black Metal

Label: Season of Mist
VÖ: 12.09.2025
Stil: Post Black Metal
Würzburg riecht nach Regen und Proberaumstaub, zumindest in meiner Erinnerung, wenn Der Weg einer Freiheit ein neues Kapitel aufschlagen. Diese Band, 2009 als Idee zweier Freunde gestartet, hat aus dem fränkischen Nebel heraus eine Sprache entwickelt, die Härte und Nachdenken nicht trennt, sondern an denselben Tisch setzt. Von Unstille über Stellar und Finisterre bis Noktvrn: Jedes Album war weniger Stufe als Wendeltreppe, höher, enger, klarer – und nun dreht Innern die Spirale dorthin, wo’s wehtut: nach innen.
Innern fühlt sich an wie der Moment, in dem man den Lärm abdreht und merkt, dass das Dröhnen noch im Kopf weiterbrüllt. Musikalisch ist das ein bewusstes Paradox: Gitarren, die mal wie Sturzregen in Blechdächern hämmern, mal wie weitgezogene Linien am Horizont stehen; ein Bass, der nicht tiefer macht, sondern wärmer; Drums, die nicht nur treiben, sondern atmen. Diese Spannung zwischen Glut und Kälte, zwischen Raserei und Einkehr, ist kein Effekt – sie ist das Material des Albums. Dass Nikita Kamprad die Platte in Würzburg produziert, gemischt und gemastert hat, hört man in der Intimität vieler Passagen: Es knistert nach „live“, ohne den Blick fürs Detail zu verlieren. Das kurze Finisterre III funktioniert wie ein Reset: ein Glimmen, bevor der nächste Sturm ausbricht.
Textlich schlägt Innern die Brücke zwischen Kontemplation und Selbstverbrennung. Marter ist nicht bloß Leid, sondern Läuterung durch Feuer. Wenn es heißt: „Nimm sie alle, meine Schreie, jedes noch so kleine Wort… Ich sehne mich nach der Sternenflut“, dann ist das kein Pathos, sondern die präzise Beschreibung eines Zustands, in dem Sprache zu schwer geworden ist und trotzdem die Kehle „alles, alles, alles nieder“ brennt. Dieses Bild – Annihilation als Reinigung – trägt das Stück, trägt das Album.
Xibalba lässt die Innenwelt kosmisch werden. „Die Angst, sie frisst die Seele auf“ – ein Satz, der banaler klingen könnte, wenn nicht die beschworene Helia, das verlorene Licht, und der Ruf „Oh Mensch, kehre um, halt ein“ daraus einen mythischen Appell machten. Das ist keine Weltflucht, sondern Weltkonfrontation: Die Maschinen der Angst sind benannt, aber das Gegenmittel ist unspektakulär – Klarheit, Rückbesinnung, ein Innenraum, der wieder bewohnbar wird.

Eos kippt die Perspektive ins Erdige: „Aus tausend Körpern keimt…“ – aus Opfer wird Keim, aus Rot wird Grün. Hier hat die Band ihre vielleicht stärkste Versöhnung von Bild und Sound gefunden: Gitarren wachsen, statt zu schneiden; Drums zeichnen Wurzeln, nicht Blitze. Man hört die Nacht, aber man schaut schon in die Morgendämmerung.
Dann Fragment: Ein Bekenntnis zur Stille als Werkzeug. „In einsamer Stund… da halt ich ein, besinne mich… Hier fehlt ein Teil von mir.“ Das wirkt klein – ist aber das mutigste Statement auf Innern: Selbsterkenntnis nicht als Pose, sondern als Arbeit. Und ganz am Ende öffnet Forlorn die Fenster ins Englische – ein Bruch, der sich überraschend organisch anfühlt. „Please don’t let me know if anybody’s hurt“ – ein Satz wie Porzellan, so empfindlich wie unbequeme Wahrhaftigkeit. Dass die Band ihre Verletzlichkeit nicht nur andeutet, sondern ausspricht, gibt der Platte eine Universalität, die über Szenebegriffe hinausreicht.
Dass Der Weg einer Freiheit das alles als Einheit hinbekommt, liegt an der Handschrift des Kollektivs: Kamprad und Rausch verweben Kontrast in Form, nicht in Effekthascherei; Noruspurs Bass ist mehr Puls als Fundament; Schuler phrasiert Blast und Pausen mit derselben Sorgfalt. Produktion, Arrangement, Semantik – hier greift das Uhrwerk ineinander, ohne steril zu ticken. Dass die Songs live vermutlich noch größer atmen werden, überrascht niemanden, ist aber diesmal zweitrangig: Innern ist nicht Bühne im Kopf, sondern Kammerstück im Herzen.
Innern ist die Platte, die dich höflich bittet, die Tür zu schließen – und dann den Schlüssel von innen herumdreht. Wer nur Raserei will, wird hier und da ungeduldig, wer nur Kontemplation sucht, stolpert über Scherben. Aber genau das ist die Qualität: Dieses Album scheut die Widersprüche nicht, es komponiert sie. Und wenn am Ende ein Satz bleibt, dann dieser: Verletzlichkeit ist hier kein Trend, sondern Methode – und verdammt überzeugend.
Bewertung: 9,0 von 10 Punkten
TRACKLIST
01. Marter
02. Xibalba
03. Eos
04. Fragment
05. Finisterre III
06. Forlon