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DREAM THEATER - Quarantième-Live à Paris (2025)

(9.984) Olaf (8,0/10) Progressive Metal


Label: InsideOut Music
VÖ: 28.11.2025
Stil: Progressive Metal






Ich habe lange überlegt, ob ich zu dieser Veröffentlichung überhaupt etwas schreibe. Nicht, weil DREAM THEATER mich jemals kalt gelassen hätten, sondern weil ich mit Live-DVDs und -Blu-rays normalerweise ungefähr so viel anfangen kann wie Mike Portnoy mit Minimalismus. Aber wenn eine Band zu ihrem 40-jährigen Jubiläum die Rückkehr des Ur-Trommlers feiert, das Ganze in einer proppevollen Pariser Arena einfängt und technisch alles auffährt, was 2024 möglich ist – dann ist Weggucken keine Option mehr.

Inzwischen fühlt sich die Geschichte von DREAM THEATER ja beinahe schon mythisch an: Fünf Studenten von der Berklee in Boston, die Ende der Achtziger beschließen, dass Metal mehr kann als „Verse–Refrain–Solo–fertig“, erobern von Long Island aus die Welt, stolpern, rappeln sich wieder auf, überstehen Line-up-Wechsel und veröffentlichen in vier Jahrzehnten einen Backkatalog, mit dem andere Bands ganze Karrieren bestreiten würden. 2024 dann der große Kreis: Zum 40. Geburtstag kehrt Mike Portnoy nach gut 13 Jahren Funkstille zurück, und die Band fährt eine Mammut-Tour auf, die in London beginnt und sie quer durch die Arenen der Welt führt.

Genau diese Tour dokumentiert Quarantième: Live à Paris: ein knapp dreistündiges Konzert aus der Adidas Arena in Paris, aufgenommen am 23. November 2024 vor ausverkauftem Haus, veröffentlicht am 28. November 2025 als üppig ausgestattete 3CD/2Blu-ray-Variante (inklusive Booklet und diversen Vinyl-Fassungen). Schon auf dem Papier ist klar: Hier geht es nicht um einen schnell zusammengeschusterten Tourmitschnitt, sondern um das offizielle, hochglanzpolierte „So stehen wir 2024/25 da“-Statement dieser Band.

Das Bildmaterial ist entsprechend stark. Die Kameras schweben über das Meer aus Handylichtern, ziehen in eleganten Fahrten über das Set, hängen sich an John Petruccis Finger, wenn er in Metropolis Pt. 1 die alten Licks abfeuert, oder fangen Portnoys Grinsen ein, wenn er wie ein hyperaktiver Dirigent vom Drumkit aus das Publikum steuert. Die Regie ist angenehm unhektisch: genug Schnitte, um Dynamik zu erzeugen, aber nicht so viel Wackel-Overkill, dass einem schwindelig wird. Die Lichtshow arbeitet mit warmen Farben, viel Gegenlicht und den typischen LED-Wänden – modern, aber nie steril.

Klanglich ist das Ganze – wenig überraschend – nahezu perfekt bis in den letzten Winkel. Der Mix ist kristallklar, ohne klinisch zu wirken: Petruccis Gitarre hat Druck und Biss, John Myungs Bass ist ausnahmsweise mal nicht nur ein Gerücht, sondern verlässlich im Fundament hörbar, und Jordan Rudess darf seine Keyboard-Orkanböen ausbreiten, ohne den Rest zuzupflastern. Portnoy klingt, als wäre er nie weg gewesen: trockene Snare, geschmackvoll eingesetzte Becken, Groove statt bloßem Schlagzeug-Abitur. Dass das Ganze in einem großen Arena-Setting mit amtlichem Recording-Team eingefangen wurde, hört man jeder Sekunde an.

Die einzige echte Unbekannte im System bleibt – wenig überraschend – James LaBrie. Auf den jüngeren Songs, bei denen die Tonlagen moderater ausgelegt sind, macht er eine deutlich bessere Figur: Barstool Warrior, Panic Attack oder As I Am profitieren davon, dass er sich in einer Range bewegt, in der seine Stimme 2024/25 noch satt trägt. Sobald es jedoch an die Klassiker meines persönlichen Lieblingsalbums Images and Words geht, wird es wacklig. Under a Glass Moon und Pull Me Under verlangen nach der jugendlichen Elastizität von 1992; heute hört man, wie LaBrie versucht, gegen die eigene Historie anzusingen – und die gewinnt nun mal fast immer. Das ist nicht peinlich, aber eben hörbar anstrengend, und gerade im hochauflösenden Live-Bild kann man das nicht wegschummeln.

Dafür stimmt die dramaturgische Kurve des Abends umso mehr. DREAM THEATER öffnen mit dem Metropolis Pt. 1 / Overture 1928 / Strange Déjà Vu-Block direkt die Scenes from a Memory-Schatzkiste und machen klar: Hier wird die eigene Geschichte nicht nur gestreift, hier wird tief gegraben. Die Kombination aus verwinkelten Rhythmen, wiederkehrenden Themen und diesem typischen „Wir springen als Band gemeinsam über eine Klippe und landen trotzdem im Takt“-Gefühl ist genau der Moment, in dem man kurz versteht, warum diese Truppe 40 Jahre überlebt hat.

Die Mitte des Sets gehört dann eher dem härteren Stoff: The Mirror, Panic Attack, Constant Motion und As I Am gönnen sich wenig Verschnaufpausen. Portnoy trommelt mit derselben Mischung aus Präzision und Aggression wie in den frühen 2000ern, Petrucci wirft Riff um Riff in den Raum, und Myung hält das alles unauffällig, aber unerschütterlich zusammen. Hier zahlt sich aus, dass die Band die Setlist der 40th Anniversary Tour bewusst so gebaut hat, dass wirklich alle Ären vorkommen – statt nur noch die sicheren Hit-Kandidaten runterzuspulen.

Zwischendurch wird es – zum Glück – auch luftiger. Hollow Years erinnert daran, dass DREAM THEATER bei aller Noten-Akrobatik immer auch eine melodische Ader hatten. Textlich geht es um das langsame Zerbröseln von Beziehungen, um das Verstreichen von Zeit, die man nicht zurückholen kann. LaBrie singt das deutlich kontrollierter als die ganz hohen Gassenhauer, und gerade in der mittleren Lage gelingt es ihm, diese resignierte Wärme zu transportieren, die den Song schon im Studio zu einem Ruhepol gemacht hat.

Spätestens mit Stream of Consciousness und Octavarium öffnet sich dann die ganz große Prog-Schublade. Instrumentalorgien, lange Spannungsbögen, Themen, die wiederkehren, sich verwandeln und schließlich zu einem dieser typischen „Aha, alles hängt zusammen“-Momente führen – das ist der Stoff, für den Fans seit Jahren Tickets kaufen. In Octavarium wird die Meta-Ebene des eigenen Schaffens noch einmal explizit: Motivisch dreht sich alles um Zyklen, um das „Alles beginnt dort, wo es endet“-Prinzip, musikalisch wie textlich. Live, mit Kamera-Fahrt durch den ekstatischen Saal, funktioniert das erstaunlich emotional statt nur nerdig.

Emotionaler Höhepunkt ist trotzdem The Spirit Carries On. Wenn LaBrie singt „If I die tomorrow I'd be alright“ und die Pariser Fans das mitgrölen, hängt kurz ein kollektiver Kloß im Hals – nicht nur wegen des Songs, sondern auch, weil er plötzlich wie ein Kommentar auf die Bandgeschichte wirkt: Diese fünf (wieder) zusammen auf einer Bühne, nach all den Brüchen, Enttäuschungen, Solo-Projekten, Streitigkeiten – und es fühlt sich für einen Moment so an, als wäre alles wieder gut. Danach wirkt Pull Me Under als letzter Schlag in die Nostalgie-Magengegend fast schon wie eine Pflichtübung, macht aber natürlich trotzdem Spaß.

Was die Veröffentlichung aus meiner Sicht besonders macht, ist aber weniger der „Best of“-Charakter der Setlist als vielmehr die Chemie auf der Bühne. DREAM THEATER haben in den Jahren mit Mike Mangini nie wie eine kaputte Band gewirkt – eher wie eine hyperprofessionelle Maschine. Mit Portnoy zurück im Boot wirkt der Laden dagegen wieder ein kleines bisschen gefährlich. Die nonverbalen Signale zwischen ihm und Petrucci, der Blickkontakt mit Myung, das Grinsen, wenn ein Break knapp gelingt – man spürt ein menschelndes Risiko, das der Musik gut tut. Dass Portnoy nebenbei noch die Background-Vocals mitbrüllt und das Publikum anpeitscht, macht ihn endgültig wieder zum emotionalen Zentrum der Truppe.

Bleibt die Frage: Wie konsumiert man diesen Brocken? Ganz ehrlich: Am Stück kann das anstrengend werden. Knapp drei Stunden hochverdichtete Prog-Power mit kaum Pausen sind nichts für den schnellen Feierabend-Snack zwischen Netflix-Folge und Bett. Ich habe Quarantième: Live à Paris in drei Etappen geschaut – sinngemäß entlang der Akte „Frühe Klassiker“, „Härte-Phase“ und „Epen & Gänsehaut“ – und so funktioniert das Ganze deutlich besser. In Etappen genossen, entfalten Bild, Sound und Songauswahl ihre Wirkung, ohne dass man nach dem dritten Gitarrensolo im 7/8-Takt innerlich aussteigt.

Unterm Strich ist diese Live-Veröffentlichung ein überaus gelungener, wenn auch nicht perfekter Schnappschuss einer Band, die seit 40 Jahren stur ihr eigenes Ding durchzieht. Das Bildmaterial ist stark, die Setlist schlau kuratiert, der Sound überragend, Mike Portnoy wieder an den Drums sowieso ein emotionaler Joker. Die einzige echte Sollbruchstelle ist James LaBrie, dessen Stimme bei den alten Gassenhauern nicht immer mithalten kann – aber selbst das gehört irgendwie zur Ehrlichkeit des Moments. Wer DREAM THEATER liebt, bekommt hier einen würdigen, bombastischen Konzertfilm. Wer wie ich mit Live-DVDs eher auf Kriegsfuß steht, könnte sich ertappen, wie er doch öfter zurückspult, als ihm lieb ist.

Und ja…dafür das ich nichts schreiben wollte, ist es doch ein wenig mehr geworden als ursprünglich angenommen. Mea culpa!


Bewertung: 8,0 von 10 Punkten


TRACKLIST

01. Metropolis Part 1
02. Overture 1928
03. Strange Deja Vu
04. The Mirror
05. Panic Attack
06. Barstool Warrior
07. Hollow Years
08. Constant Motion
09. As I am
10. Orchestral Overture
11. Night Terror
12. Under a Glass Moon
13. This isa the Life
14. Vacant
15. Stream of Consciousness
16. Octavarium
17. Home
18. The Spirit carries on
19. Pull me under 



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