HERETOIR - Solastagia (2025)
(9.792) Olaf (10/10) Post Black Metal

Label: AOP Records
VÖ: 19.09.2025
Stil: Post Black Metal
Es gibt Momente, in denen mich eine Band regelrecht überfährt, obwohl ich mir selbst immer wieder einrede: „Black Metal ist nicht so mein Ding.“ Und dann kommen Heretoir daher, ausgerechnet die bajuwarischen Meister des Post-Black-Metal-Gefühls, und pfeffern mir ein Album vor die Ohren, das ich nicht mehr loswerde. Solastalgia nennt sich das gute Stück – ein Begriff, der übrigens für das tiefe, fast körperliche Leid steht, das man empfindet, wenn einem die vertraute Umwelt unwiederbringlich genommen wird. Klingt nach Öko-Philosophie-Seminar, fühlt sich aber an wie ein Faustschlag ins Herz, gefolgt von einer Umarmung.
Die Bandgeschichte selbst ist schon ein kleines Kuriosum. Einst startete David Conrad alias Eklatanz als Einzelkämpfer, mittlerweile hat er mit Matthias Settele und Nils Groth ein Trio um sich geschart, das zusammengewachsen ist wie ein alter Baum im Sturm. Wer die Truppe je live gesehen hat, weiß: Diese Musiker sind keine flüchtigen Schöngeister, sondern eine Naturgewalt. Und jetzt, wo auch die Studioarbeit auf ein neues Level gehoben wurde – danke an das fette Mastering von Lasse Lammert – knallt Solastalgia auch auf Polycarbonat wie ein Orkan über der Steppe.
Was mich als Nicht-Black-Metal-Fetischisten so überrascht, ist diese Mischung aus Raserei und Wehmut, aus Wut und Trost. Eklatanz schreit nicht einfach ins Mikro, er prangert an, er beschreibt, er brüllt sich die Seele frei. In Season of Grief hallt die Trauer nicht nur in den Lyrics, sondern auch im Sound wider – man spürt dieses Gefühl der Verlorenheit, das dennoch nach vorne treibt. „All hope is gone, and yet I dream“ heißt es sinngemäß, und genau darin liegt der Reiz: Hoffnung im Angesicht des Abgrunds.

Besonders packend wird es bei Dreamgatherer oder The Heart of December. Hier bauen Heretoir Klanglandschaften, in denen man sich verirrt, um kurz darauf von einem Lichtstrahl wieder eingefangen zu werden. Man träumt vom Untergang, sieht die Apokalypse in Flammen, schöpft aber im nächsten Moment Kraft, weiterzumachen. Genau diese Gratwanderung zwischen Endzeit und Aufbruch macht das Album so faszinierend.
Auch die Vielseitigkeit überrascht: Post-Rock-Nebel treffen auf Black-Metal-Stürme, melancholische Vocals wechseln mit harten Schreien, und zwischendrin streut die Band Flöte, Klavier oder sogar Reh-Knochen (!) ein. Dass die finale Coverversion Metaphor von In Flames keine Fremdkörpernummer, sondern ein krönender Abschluss ist, zeigt die Souveränität, mit der Heretoir inzwischen arbeiten.
Ich ertappe mich beim dritten Durchlauf dabei, dass ich innerlich nicke: Ja, das ist ein musikalisches Manifest, ein Meisterwerk, das nicht brutal im klassischen Sinne ist, sondern im Emotionalen. Es hämmert nicht die Nägel in den Sarg, sondern in die Seele – und trotzdem wächst aus dieser Schwärze ein Funke Hoffnung.
Solastalgia ist ein Album, das weh tut, aber genau deshalb heilsam ist. Es ist Post-Black Metal auf höchstem Niveau, vielleicht sogar die Krone im bisherigen Schaffen von Heretoir. Für jemanden wie mich, der sonst eher einen Bogen um schwarzen Stahl macht, ist es eine Offenbarung. Und ja, es wird eng am Jahresende, wenn es um das Post-Black-Metal-Album des Jahres geht – Der Weg einer Freiheit, Harakiri for the Sky und nun diese bajuwarische Wucht. Ich ahne schon hitzige Diskussionen in meinen Top 10.
Anspieltips:
🔥Dreamgatherer
💀The Heart of December
🎸Season of Grief
Bewertung: 10 von 10 Punkten
TRACKLIST
01. The Ashen falls
02. Season of Grief
03. You are the Night
04. Inertia
05. Rain
06. Dreamgatherer
07. The Heart of December
08. Burial
09. Solastalgia
10. The same Hell (MMXXV)
11. Metaphor (In Flames Cover)