PARADISE LOST - Ascension (2025)
(9.813) Olaf (7,3/10) Heavy Metal

Label: Nuclear Blast
VÖ: 19.09.2025
Stil: Heavy Metal
Yorkshire-Nebel im Kopf, Schwarztee in der Tasse, die ewige Frage auf den Lippen: Warum berührt mich diese Band seit „Icon“ nicht mehr? PARADISE LOST sind für mich die Sorte Urgestein, die ich eher mit Respekt als mit Herzklopfen höre. Und doch sitze ich da, drücke auf Play – und zack: Serpent on the Cross fährt los, die Becken atmen, die Kick hämmert satt, und Nick Holmes knurrt endlich wieder. Dieser erste Eindruck ist ein kleiner Triumph der Vergangenheit: fett, erdig, mit genau dem Drumsound, der Doom-Death trägt statt ihn zu polieren. Ein Schritt zurück in die eigene Geschichte, den ich sofort unterschreibe. Wäre da nicht – und ja, ich nenne es so – diese Jammerläppchen-Attitüde, dieses gothische Rumgeheule, das zwischendurch die Oberhand gewinnt und mir in schöner Regelmäßigkeit die Gänsehaut gegen gepflegtes Augenrollen eintauscht. Daran ändert am Ende auch nicht, dass Holmes bei The Precipice die Growls nochmals aus der Kammer holt.
Zur Einordnung: 1988 in Halifax gegründet, haben PARADISE LOST den gotischen Metal-Entwurf so sehr geprägt, dass man ihre DNA noch heute quer durch die dunklen Ecken des Genres findet. Vom schlammigen Doom-Death der Frühphase über das majestätische „Draconian Times“ bis zu elektronisch gefärbten Experimenten – Stillstand war nie ihr Ding. „Ascension“, Studioalbum Nummer 17, bündelt dieses Erbe hörbar bewusst: die Riffs düster und schwer, die Melodien großflächig, die Harmonik stoisch mollverliebt. Produziert hat Gitarrist Gregor Mackintosh im eigenen Black-Planet-Refugium in East Yorkshire; Drums und Vocals wurden in Schweden eingefangen – man hört das: eine Platte, die Raum lässt, die atmet, die untenrum schiebt, ohne zu matschen. Gerade das Schlagzeug sitzt wie ein Fundament aus Basalt: druckvoll, aber nicht überkomprimiert, mit natürlicher Fellansprache.
Musikalisch spannt die Band den Bogen tatsächlich überzeugend: Serpent on the Cross beginnt erhaben-doomig, legt dann den Dickhäuter-Gang ein und wechselt in einen klassischen Metal-Schritt mit Doublebass, der live den Nacken aus dem Koma holen dürfte. Silence like the Grave dreht sich lyrisch um die Sinnlosigkeit des Krieges – musikalisch ist das eine Parade gothischer Signatur: schattige Harmonien, melodische Linien, die eher tragen als treiben. Tyrants Serenade demonstriert, wie groß Einfachheit klingen kann, wenn Timing, Ton und Tremolo sitzen; über allem schwebt Gregors typischer, gespenstischer Leadgesang der Gitarre, der wie kalter Nebel aus alten Kirchenfenstern zieht. Lay a Wreath upon the World wiederum wächst von elegischer Skizze zum trauernden Höhepunkt – ein klassischer PARADISE LOST-Aufbau, dem man ihre jahrzehntelange Arrangeurserfahrung anhört.

Der Elefant im Raum bleibt für mich aber Holmes’ Gesang – und zwar nicht dessen Qualität, sondern seine Ausrichtung. Sobald die Growls kommen, richtet sich die Musik auf; die Gitarren saugen Schwärze, die Rhythmen bekommen Zähne. Wird’s dann wieder zu viel „Gothic-Lamento“, spüre ich persönlich, wie die Spannung entweicht. Das ist Geschmackssache, schon klar, aber „Ascension“ zeichnet diese Pendelbewegung deutlicher nach, als mir lieb ist. Dass Holmes beides kann, zeigt Sirens am stärksten: Hier verschaltet er das Raue und das Klagende so geschickt, dass das eine das andere adelt. Genau da, in der Reibung und im Kontrast, liegt für mich das Potenzial dieser Platte.
Textlich bleibt die Band bei ihren kerndunklen Themen – Aufstieg als Chiffre fürs Ringen um das „bessere“ Selbst, die Ironie einer Existenz, deren sicherster Lohn das Ende ist; wie Menschen mit Verlust umgehen, welche Krücken sie sich suchen, und wie das Gemüt unter Lebensumbrüchen knackt. Das ist nicht neu, aber konsequent, und es passt zur Musik wie Regen zu Yorkshire. Wenn Silence like the Grave die Sinnlosigkeit des Tötens seziert und Lay a Wreath upon the World Trauerarbeit zum Arrangementprinzip erhebt, dann ist das diese spezifische PARADISE LOST-Melancholie: nicht sentimental, eher stoisch, mit kühlem Blick und bleichem Licht.
Klanglich überzeugt „Ascension“ fast durchgängig. Die Gitarren sind körnig, aber nicht kratzig, die Leads singen ohne Zuckerguss, der Bass zeichnet dunkel nach, und das Schlagzeug – ich sag’s gern doppelt – hat genau die Mischung aus Punch und Raum, die diesen Songtypen Würde gibt. Gregor Mackintosh spielt seine Melodien nicht, er phrasiert sie wie Gegenstimmen zum Gesang; Aaron Aedys Rhythmusarbeit hält das Schiff in Linie, während die Drums mit bedacht gesetzter Doublebass und trockenen Toms Akzente setzen. Das resultiert in einem Sound, der Retro-Anmutung und Gegenwartsverständnis vereint.
Und doch bleibe ich – ganz persönlich – auf Abstand. „Ascension“ ist ohne Zweifel ein gutes Album, ein bewusstes Statement ihrer Geschichte, mit genug Wucht, genug Eleganz, genug Haltung. Aber es bleibt für mich bei Respekt statt Rührung. Seit „Icon“ reißt mich diese Band schlicht nicht mehr vom Stuhl. Ich höre die Klasse, ich nicke die Stärken ab – und stolpere immer wieder über jene gothische Selbstverzehr-Geste, die mir den Spaß an der hervorragenden Mucke verdirbt. Dass The Precipice nochmal Growls bietet, ist da ein schöner Schlusspunkt, aber keiner, der meinen Gesamteindruck dreht.
„Ascension“ ist das wohlüberlegte Selbstporträt einer Institution – wuchtig, elegisch, erfahrungssatt. Wenn Holmes knurrt, glänzt der Lack; wenn das Klagelied überzieht, wird’s mir zu bleich. Wer PARADISE LOST für ihr nobles Elend liebt, bekommt hier Premiumware; wer wie ich auf die rauere Kante hofft, findet starke Momente – vor allem dort, wo Growl und Klage einander die Klinge reichen.
Anspieltipps
🔥 Serpent on the Cross
💀 Lay a Wreath upon the World
🎸 The Precipice
Bewertung: 7,3 von 10 Punkten
TRACKLIST
01. Serpent on the Cross
02. Tyrants Serenade
03. Salvation
04. Silence like the Grave
05. Lay a Wreath upon the World
06. Diluvium
07. Savage Days
08. Sirens
09. Deceivers
10. The Precipice
11. This stark Town
12. A Life unknown