THRON - Vurias (2025)
(9.896) Olaf (10/10) Blackened Death Metal
Label: Listenable Records
VÖ: 31.10.2025
Stil: Blackened Death Metal
Ich war nie der Typ, der bei Black Metal zwanghaft nach dem nächsten „Revolutionär“ sucht. Mir reicht es, wenn mich Musik packt, schneidet, verführt – und im besten Fall so konsequent weiterdenkt, dass sie zugleich vertraut und gefährlich neu wirkt. Genau da kommen THRON ins Spiel. Die deutsch-schweizerische Bruderschaft hat mit „Dust“ 2023 einen breiten Korridor zwischen kalter Raserei und warmer, traditioneller Metalaura aufgestoßen, live auf Bühnen wie Hellfest, Summer Breeze oder Baden in Blut bewiesen, dass das keine Studiochimäre ist, und mit „Vurias“ jetzt das Kunststück vollbracht, sich selbst zu überholen – ohne den eigenen Schatten zu verlieren.
„Vurias“ ist keine weitere Kerbe im Bandschrank, sondern ein Griff in tiefere, finstere Schichten des eigenen Vokabulars. Was auf „Dust“ noch wie ein nobles Zitat klassischer Heavy-DNA schimmerte, ist hier nur noch Geist im Hintergrund: Spectral Echo statt Goldrahmen. Die Gegenwart gehört dem Raubtier. Riffs schnappen, Drums hetzen, und doch liegt über allem eine Messerspitze Eleganz, die man in dieser Brutalität selten findet. Das liegt auch daran, dass THRON die Grenzen ihres Klangraums mit einer Selbstverständlichkeit weiten, die mancher Ersthörer gar nicht sofort als „Erweiterung“ begreift: Saxofone, die wie irrlichternde Gespenster aus Seitengassen pfeifen, eine Hammond, die nicht protzt, sondern dräut, Vintage-Synths, die kein Retro-Zuckerwerk streuen, sondern Schatten werfen. Diese Zutaten sind kein Gimmick, sondern Textur – hörbar etwa in The Hunter and the Prey, fühlbar als kalter Atem im Nacken, wenn aus scharfkantigen Läufen plötzlich eine fiebrige Aura aus 70er-Prog und Okkult-Rock emporkriecht.
Und dann ist da Ungemach (Stilles Ende) – neun Minuten, die sich nicht nach Länge anfühlen, sondern nach Gewicht. THRON entfalten hier das volle Spektrum: leise, schleichende Verwünschungen, die wie Asche im Raum hängen, Ausbrüche, die schneiden und sofort wieder verharren, als lausche man der eigenen Panik. Samca spuckt Silben wie brennende Kohlen; wenn er ins Flüstern kippt, ist das nicht diese abgegriffene Theaternummer, sondern ein Gift, das wirkt, weil die Band den Raum dafür baut. Zingultus’ unverwechselbare Stimme legt sich als Gastsänger wie Frost auf die Stirn des Songs, während Norman Lonhard seine Schlagzeugakzente so setzt, dass jede Zäsur nach Entscheidung klingt. Das ist – und ich verschlucke mich nicht an Superlativen – der bisher beste THRON-Song. Punkt.
Wer nun denkt, das Album ruhe auf einem Monument, irrt. The Serpent’s Path spannt den Bogen so konzentriert, dass man glaubt, direkt in einen ritualisierten Jagdlauf zu stolpern, Astral Materia wechselt vom Sturzflug in Gleitfahrt, ohne die Klinge einzuziehen, Hubris’ Crown trägt seinen Titel wie einen Fluch. Entscheidend ist: Kein Song klingt wie der andere. Gerade wenn THRON das Tempo herausnehmen, tritt eine Diabolik zutage, die viele „reine“ Black-Metal-Produktionen alt aussehen lässt. Samca klingt in diesen Momenten bösartiger als ein tasmanischer Teufel auf Speed, und die Gitarren von PVIII und Ravendust schreiben runische Linien in die Luft, die im nächsten Takt wieder abgerissen werden – der Rest: Nachhall im Kopf. SXIII hält das alles mit einer Bassführung zusammen, die nicht nur stützt, sondern lenkt, und J peitscht, grätscht, tänzelt, als seien die Takte Schachfelder.
Die Produktions- und Gestaltungsebene macht das Kunstwerk rund. Christoph Brandes (Iguana Studios) hat „Vurias“ so gewebt, dass jedes Detail atmen darf, ohne die Wucht zu entschärfen; nichts ist gläsern, alles ist spürbar. Daniele Valerianis Artwork krönt das Ganze nicht mit einem hübschen Poster, sondern mit einer Bildwelt, die die Musik weiterhören lässt, wenn der Player schweigt. Und als ob das nicht reichte, zementiert die Band mit diesen Stücken, was sie live zuletzt angedeutet hat: THRON sind längst raus aus der Schublade „Geheimtipp“. Sie sind ein Referenzpunkt geworden.
Man kann – und sollte – die großen Namen im Blackened-Kosmos heranziehen, um „Vurias“ zu verorten. Aber mal Tacheles: THRON sind eine dieser Bands, die viel größer sein müssten. Sorry, aber wer zur Hölle sind Behemoth? Dieses Album pulverisiert Nergal und Co. einmal mehr in einer Leichtigkeit, die fast unhöflich wirkt. Und ja, so scheiße Johan Nödtveidt als Mensch war – musikalisch hat er mit Dissection Geschichte geschrieben. Genau dieses Erbe beansprucht THRON seit mehreren Platten, und „Vurias“ macht diesen Anspruch fulminant unanfechtbar: melodische Klarheit als Klinge, Komposition als Ritual, Atmosphäre als Sog.
Was „Vurias“ so unwiderstehlich macht, ist sein Gedächtnis. Egal wie oft man das Album auflegt – es antwortet jedes Mal anders. Neue Nuancen blinken auf, neue Stimmungen schlagen Risse in die vertrauten Wände. Trotz Brutalität, Härte und teilweise grandioser Raserei bleibt immer Raum für Melodie, für Nachvollziehbarkeit und – vor allem – für Abwechslung. Das ist kein Widerspruch, sondern das Geheimnis: Die Raserei gewinnt, weil sie von Struktur gerahmt wird; die Schönheit sticht, weil sie in Dornen gewickelt ist.
„Vurias“ ist das seltene Ereignis, bei dem alle Zeiger ausschlagen: Songwriting, Spielfluss, Klangbild, Artwork – hier stimmt einfach alles. In dieser Spielart des Metal wird es dieses Jahr nichts Besseres geben. THRON haben nicht nur eine hervorragende Platte abgeliefert; sie haben eine Messlatte gesetzt, an der sich der Rest messen lassen muss. Wer jetzt noch zweifelt, soll Ungemach (Stilles Ende) bei Nacht hören und danach behaupten, er habe nichts gefühlt. Viel Glück.
Anspieltips
💀Ungemach (Stilles Ende)
🎸The Hunter and the Prey
💀The Serpent’s Path
🔥Hubris’ Crown
Bewertung: 10 von 10 Punkten
TRACKLIST
01. The Serpent’s Path
02. Astral Materia
03. Hubris‘ Crown
04. A Paradox
05. Ungemach (Stilles Ende)
06. One Truth, one Light
07. Griefbearer
08. The Hunter and the Prey
09. The Metamorph’s Curse

