ENTHRONED - Ashspawn (2025)
(9.982) Olaf (8,9/10) Black Metal
Label: Season of Mist
VÖ: 05.12.2025
Stil: Black Metal
Eigentlich müsste ich ENTHRONED aus Prinzip doof finden. Ich bin wahrlich kein Black-Metal-Connoisseur, kein wandelndes Marduk-Lexikon und schon gar keiner von denen, die 1993 im norwegischen Wald dabei waren. Und trotzdem hängen ein ENTHRONED-Hoodie und ein Shirt in meinem Schrank – zwischen Death-Metal-Klamotten und Classic-Rock-Merch. Irgendwann haben mir diese Belgier das Hirn weichgefräst, und seitdem gehören sie zu den ganz wenigen Black-Metal-Bands, die ich nicht nur respektiere, sondern wirklich liebgewonnen habe. Ups, darf ich sowas in diesem Kontext überhaupt schreiben?
Sechs Jahre nach Cold Black Suns steht mit Ashspawn nun das zwölfte Album im Raum und wirkt wie ein massiver, rußgeschwärzter Monolith, der sich langsam aus der Erde schiebt. Die Platte entstand über einen langen Zeitraum, gemeinsam mit dem Okkult-Autor Gilles de Laval, der seine Ritual- und Chaosmagie in diese Songs gegossen hat. Laut Begleittext war das Ganze eher eine Beschwörung als eine klassische Studiosession: eine „Autopsie und Auferstehung“, spiritueller Tod mit anschließender Metamorphose. Und ehrlich gesagt: Genau so klingt das auch.
Seit 1993 treiben ENTHRONED ihr Unwesen, damals in Namur aus den Tiefen des belgischen Undergrounds gekrochen und mit Prophecies of Pagan Fire sofort auf Vollgas. Schon früh war klar: Hier geht es nicht um Satans-Clipart und Kinderzimmer-Provokation, sondern um ein ernst gemeintes, ritualistisches Konzept – inklusive jener Tragödie, als Drummer Cernunnos sich 1997 das Leben nahm und die Band seine Proberaumtracks trotzdem als Fundament für Towards the Skullthrone of Satan nutzte. Aus Trauer wurde Wut, aus Wut ein Motor, der ENTHRONED durch Armoured Bestial Hell, Carnage in Worlds Beyond und die okkultere Phase um Tetra Karcist und Pentagrammaton geschoben hat. Bis heute wirkt diese Biografie wie ein Fluch, der die Band zwingt, kompromisslos zu bleiben. Nostalgie? Fehlanzeige.
Ashswpawn wirkt wie der logische, aber deutlich bösartigere Nachfolger von Cold Black Suns. Musikalisch regiert die totale Einheit: rasende Blastbeats, schwere, beinahe doomige Midtempo-Passagen und Strukturen, die nicht versehentlich „progressiv“ wirken, sondern eher wie ein Ritual, das in Phasen abläuft. Die Gitarren von T. Kaos weben Tremolo-Wände, die sich mit plötzlichen, fast schon „klassischen“ Soli verbinden – mal schlägt das in Morbid-Angel-Wahnsinn aus, mal blitzt kurz etwas auf, das man mit viel bösem Willen als Judas-Priest-Gedächtnis-Lick bezeichnen könnte.
Produktionstechnisch ist Ashspawn ein ziemliches Biest. Aufgenommen in London, gemischt in Mailand, gemastert wieder in London – und trotzdem klingt das Album nicht nach glattpolierter Europudding-Produktion, sondern nach einem sehr bewusst gesteuerten Chaos. Das Schlagzeug von Menthor knallt trocken und präzise, ohne diese klinische Trigger-Kälte, die so viele moderne Black-Metal-Scheiben erschlägt. Die Gitarren sind dicht und scharf, aber nie Matsch, der Bass pulsiert mehr, als man es in diesem Genre oft gewohnt ist, und Nornagests Vocals stehen genau an der richtigen Stelle im Mix: nicht drüber, nicht drunter, sondern wie ein weiterer Ritualkanal, durch den irgendetwas sehr Unfreundliches spricht. Kurz gesagt: stark produziert – und zwar so, dass die Aggression schneidet, aber die Atmosphäre nicht totkomprimiert wird.
Was das Songwriting angeht, fahren ENTHRONED hier einen Spagat, den viele Bands gerne schaffen würden: Auf der einen Seite steht das schwarze Inferno, das man erwartet, wenn dieser Bandname auf dem Cover steht. Crawling Temples, Basilisk Triumphant oder Stillborn Litany pflügen mit einer Selbstverständlichkeit durch den Gehörgang, dass man sich fragt, ob die Belgier überhaupt anders können als „rasend“ und „vernichtend“. Auf der anderen Seite passieren aber immer wieder Momente, die viel tiefer gehen, als es die reine Raserei vermuten lässt.
Besonders deutlich wird das in Songs wie Ashspawn selbst und der späteren Eskalation Raviasamin. Diese Stücke funktionieren wie ein Tribunal: Erst wird alles niedergebrannt, dann bleibt kurz Zeit für verstörende Selbstreflexion – als würde jemand die eigene Psyche sezieren und jedes gefundene Organ feierlich ins Feuer werfen. Der Pressetext spricht von einem „metaphysischen Bauwerk“, dessen Verse nicht nur gehört, sondern als infektiöse Formeln begriffen werden wollen, und genau so ist das strukturiert: Riffs kommen wieder, aber nie exakt; Rhythmen kippen, Spannungsbögen enden nicht, wenn man es erwartet.
Und dann ist da Ashen Advocacy. Ich sag’s offen: An dieser Nummer habe ich mir beim ersten Hören fast eingenässt – im positiven Sinne. Hier gehen ENTHRONED am weitesten aus ihrer Komfortzone heraus, ohne sich selbst zu verraten. Die Geschwindigkeit ist nicht durchgehend Vollgas, dafür schleichen sich dissonante Akkorde, fast schon „postige“ Spannungsfelder und eine Art hymnischer Wahnsinn ein, der mich mehr packt als das reine Geballer. Wenn diese Band experimenteller wird, dann ist sie so dermaßen faszinierend, dass ich kurz vergesse, dass ich Black Metal eigentlich nur in homöopathischen Dosen konsumiere.
Spannend ist, wie sehr die lange Entstehungszeit dem Album anzuhören ist. Sechs Jahre sind im schnelllebigen Extreme-Metal-Kosmos eine Ewigkeit, aber hier wirkt nichts alt, verstaubt oder überarbeitet. Eher, als hätten ENTHRONED in dieser Zeit immer wieder Schichten abgetragen, bis nur noch das übrig blieb, was für sie selbst zwingend notwendig ist. Keine unnötigen Intros, keine Fremdscham-Spielereien, kein Trendhopping. Stattdessen eine klare Linie: Ritual, Gewalt, Atmosphäre – in dieser Reihenfolge. Mehr als drei Jahrzehnte nach Bandgründung klingt das, als hätten sie sich noch einmal neu bei den Kräften rückversichert, die sie damals überhaupt auf den Weg gebracht haben.
Ich bin mir relativ sicher, dass es genügend Leute gibt, die in Sachen Black Metal sehr viel tiefer im Thema stecken als ich, und die jedes Riff auf Ashspawn mit irgendwelchen obskuren Norweger-Demos aus dem Jahr 1992 abgleichen können. Mir egal. Aus meiner Perspektive ist das Ding saustark. Es hat dieses kompromisslose Feuer der frühen Tage, aber mit einem erwachsenen, durchdachten Ansatz im Songwriting. Es gibt Stellen, an denen man sich in den Strukturen verirren kann, andere, an denen der Kopf automatisch nach vorne ruckt, weil das Riffgefüge einfach perfekt sitzt. Und immer wieder Momente, in denen die Platte meine aktuell vorherrschende Stimmung – nennen wir sie höflich „begrenzte Menschenliebe“ – in puren, musikalischen Hass übersetzt.
Ashspawn ist kein freundliches Album und erst recht keins, das man mal eben nebenbei weghört. Es ist eine 50-minütige Beschwörung, die dich entweder kalt lässt oder komplett einnimmt. Mich hat sie bekommen – obwohl (oder gerade weil) ich in diesem Genre nicht zuhause bin. ENTHRONED klingen hier bösartiger denn je, aber gleichzeitig fokussierter, reifer und experimentierfreudiger. Wer Black Metal als bloßes Gekreische mit Kerzenwachs abtut, wird dieses Album hassen. Wer bereit ist, sich auf ein schwarzes Ritual mit durchdachtem Songwriting, mächtiger Produktion und einer ordentlichen Portion metaphysischer Verrücktheit einzulassen, dürfte Ashspawn dagegen feiern.
Anspieltipps:
🔥Ashen Advocacy
💀Ashspawn
🎸Raviasamin
🔥Stillborn Litany

