STILLBIRTH – Survival Protocol (2025)
(9.889) Olaf (9,3/10) Slam Death Metal
Label: RPM
VÖ: 31.10.2025
Stil: Slam Death Metal
Ich gebe es offen zu: STILLBIRTH sind für mich so etwas wie der fest installierte Nackenmassage-Stuhl im Z.O.-Büro – jederzeit bereit, mich in vibrierende Euphorie zu prügeln. Live wie von der Konserve: pure Endorphine im Blastbeat-Takt. Bevor ich diese Zeilen tippte, habe ich erst mal den Merch-Shop geplündert. Ja, ich bin Fan – sieben Shirts sprechen eine deutliche Sprache – und ja, Survival Protocol ist für mich die Quintessenz dessen, was diese Hagener Abrissbirne seit 1999 aufgebaut hat. Eine Party am Rand des Weltuntergangs, aber mit Konzept, Können und Charakter.
Historisch lässt sich die Schneise wunderbar nachzeichnen: vom kultig-chaotischen Debüt und der kurzen Frühphase-Pause, über Tour-Eskalationen in Europa und den USA, bis hin zu den Level-Ups mit „Annihilation Of Mankind“, „Revive The Throne“ und „Homo Deus“ – samt Festival-Triumphen und all den Narben, die so ein Weg mit sich bringt. Dass 2021 der Verlust von Dominik „Pumpa“ König das Kollektiv erschüttert hat, hört man heute als stille Entschlossenheit im Untergrund des Sounds: ein Brummen, das nicht nur tief ist, sondern Haltung hat. Survival Protocol setzt auf dieses Fundament und schiebt das Regelsystem in Richtung „dystopisches Konzeptalbum“, ohne den gewohnten Stillbirth-Humor zu opfern. Im Gegenteil: Wenn der Himmel brennt, tanzt man eben noch härter.
Die Produktion? Killt. Punkt. Nicht klinisch, nicht stumpf, sondern so präzise, dass jedes Palm-Mute wie ein Presslufthammer durch die Magenwand hämmert – und gleichzeitig genug Luft lässt, damit die kleinen Gemeinheiten strahlen: diese freche Kuhglocke, die im perfekten Moment „ich war’s!“ schmettert; das trockene chik-chik der Akustikgitarre als falscher Freund vor der nächsten Betonwand; Mini-Breaks, die aussehen wie Pausen, aber eigentlich Katapulte sind. Genau dieser Schnickschnack passt bei STILLBIRTH eben wie der Aktivkohlefilter in die Kräuterzigarette: nimmt das Kratzige, lässt aber das High.
Was mir an Brutal- und Slam-Formationen oft als Monotonie auf die Nerven geht, verwandeln STILLBIRTH in Traktion. Hier klebt nichts – es zieht. Riffs werden nicht nur gewechselt, sie werden übergeben: Groove an Blast, Blast an Slam, Slam an Two-Step, und wieder zurück, als hätte jemand ein Rotationssystem für Gewalt entwickelt. Das macht die Songs nicht nur interessant, sondern spannend – weil der nächste Schlag nie exakt dort landet, wo du ihn erwartest, sondern fünf Zentimeter daneben, wo’s blau wird.
Die Bandgeschichte drückt dabei in jeder Sekunde durch das Material. Man hört, dass hier ein über Jahrzehnte eingespielter Organismus agiert: Lukas am Mikro, Martin an den Drums, Lukas K. am Bass sowie Leonard und Szymon an den Gitarren – eine Besetzung, die die Eckpfeiler „Finesse, Fiesheit, Feierlaune“ in sich trägt. Und während anderswo das „Konzept“ oft nur ein Post-It an der Studiowand ist, fühlt sich die Dystopie hier kompositorisch verankert an: wiederkehrende Motivkerne, Kaskaden, die wie Sirenenleuchten aufblitzen, Rückkehr-Breakdowns, die die Erzählung zusammenziehen. Dass STILLBIRTH seit Jahren diese Brücke zwischen Grind-Raserei, Death-Gewalt, Slam-Walze und Deathcore-Biß gebaut haben, macht Survival Protocol so kohärent – die Statik stimmt, also darf die Fassade wild sein.
Inhaltlich bleibt die Band sich treu: „Zerstörung und Party“ ist nicht einfach ein Slogan, sondern ästhetisches Prinzip. Wo andere nur Schutt hinterlassen, baut STILLBIRTH auf den Trümmern eine Bühne – und wenn’s sein muss, gleich mehrere. Die „optische Vollbedienung“ tut ihr Übriges: Artworks, Teaser-Grafiken, Social-Terror vom Feinsten – ja, klickt euch da rein, die Visuals sind schlicht Killer. Und bevor jemand „bloßer Krach“ ruft: Falsch abgebogen. Das ist technisch hochklassige Mucke, in der Timing, Voicing und Dynamik genau so wichtig sind wie das nächste „Ugh!“ im richtigen Zehntel.
Songlich liefert das Album beides: sofortige Wirkungstreffer und Langzeitgifte. Existence Erased öffnet den Vorhang ohne Vorspielchen und setzt die Blaupause für den Wechsel aus stampfendem Low-End und peitschenartiger Beckenarbeit. Throne of Bones lässt den Groove tiefer in den Ton spritzen, bis der Slam wie ein Betonmischer auf Vollgas vibriert. Baptized in Blood wechselt die Perspektive: Der Refrain wirkt nicht „melodisch“ im klassischen Sinne, aber er krallt sich in die Erinnerung wie ein rostiger Haken. Und der Titelsong The Survival Protocol spielt das dramaturgische Trampolin, von dem aus das Album in seinen letzten Akt springt – maximal selbstbewusst, maximal effektiv.
Die größte Stärke bleibt die Balance: Humor ohne Klamauk, Wucht ohne Wummern, Technik ohne Turnstunde. Und die kleinsten Ideen – Kuhglocke hier, Akustik-Antäuschung da – sind nicht Gimmicks, sondern dramaturgische Gewürze. Dazu eine Produktion, die die Kanten scharf lässt, ohne die Ohren zu ermüden. Ich höre hier die Summe aus über 25 Jahren Bandbiografie, Tourkilometer, Verlust, Wiederaufstehen und dem unerschütterlichen Willen, aus jeder Venue einen Fallout-Shelter zu machen, in dem man noch besser feiern kann. Dass die Truppe sich über Linien wie Unique Leader, Distortion Music Group und eine wachsende Festival-Historie immer weiter professionalisiert hat, hört man in jeder Sekunde. Dieses Album trägt Reife – nicht als Weichspüler, sondern als Klinge.
Survival Protocol ist das Magnus-Opus im STILLBIRTH-Kosmos – ein Album, das die Bandgeschichte einsammelt, in Beton gießt und mit Konfetti sprenkelt. Wer „nur Krach“ hört, übersieht den Maschinenraum. Wer die kleinen Ideen ignoriert, verpasst die großen Momente. Und wer noch kein Shirt hat: Pech, ich habe vermutlich eures schon gekauft. FUCKIN‘ SURF AND SLAM, BITCHES!
Anspieltips
🔥Existence Erased
💀Throne of Bones
🎸Baptized in Blood
🔥The Survival Protocol
Bewertung: 9,3 von 10 Punkten
TRACKLIST
01. Existence Erased
02. Trapped in Darkness
03. Throne of Bones
04. Apex Predator
05. Baptized in Blood
06. Cult of the Green
07. Sacrificial Slaughter
08. The Survival Protocol
09. Kill to rule

