AFSKY - Fællesskab (2025)
(9.860) Olaf (9,0/10) Black Metal

Label: Eisenwald
VÖ: 17.10.2025
Stil: Black Metal
Ich gebe es zu. So richtig „Black Metal“ und ich – das war lange keine große Liebesgeschichte. Zu viele Genrekleinkriege, zu viele Pseudodiskussionen darüber, was nun „true“ sei und was nicht, zu viele selbsternannte Gatekeeper mit Corpsepaint und Kaffeefahne. Doch dann kam Afsky, und damit eine Musik, die mich mitten ins schwarze Herz getroffen hat. Und bevor der nächste ansetzt, mir zu erklären, warum Heretoir angeblich kein Black Metal und Rotting Christ selbstverständlich Death Metal sind, schicke ich euch einen liebevollen Mittelfinger gen Himmel: Afsky IST Black Metal. Punkt.
Dass Ole Pedersen Luk – das Mastermind hinter diesem Projekt – das Genre nicht neu erfindet, sondern es poetisch seziert und atmosphärisch neu aufblühen lässt, wissen wir seit Jahren. Fællesskab (zu Deutsch: „Gemeinschaft“) ist sein viertes Langspielwerk und gleichzeitig das bislang politischste, bitterste und zugleich berührendste Kapitel seines Schaffens. Der Pressetext spricht davon, dass dieses Album ein „Overture to the Downfall“ sei – und das ist kein hohler Werbesatz, sondern eine ziemlich präzise Beschreibung dessen, was hier auf 47 Minuten niederprasselt wie nordischer Nieselregen auf grauen Beton.
Ole Luk richtet seinen Blick nicht nur nach innen, wie auf Om hundrede år, sondern hinaus auf die Gesellschaft, deren Gemeinschaftsbegriff er mit der kalten Klinge des Schwarzmetalls zerlegt. Es geht um Herdenverhalten, um vermeintliche moralische Überlegenheit, um die bequeme Gleichschaltung, die sich so gern als Nächstenliebe tarnt. „Wo Einheit Schweigen bedeutet und Zweifel ein Verbrechen ist“, heißt es sinngemäß in seiner Erklärung zu Fællesskab. Hier singt keiner über Ziegenhörner und Feuerschalen im Wald – hier wird Gesellschaftskritik in kaltem Nordwind gegossen.
Musikalisch knüpft das Album dort an, wo sein Vorgänger aufgehört hat: dichte Gitarrenwände, die nicht einfach knüppeln, sondern atmen. Die sich aufbauen, Wellen schlagen, zurückweichen und dann wie Sturmfluten wiederkommen. Atmosphärisch ist Fællesskab vielleicht das dichteste Werk des Dänen bisher: Es lebt von langen Spannungsbögen, verschachtelten Melodien und dieser ganz eigenen Balance zwischen Zorn und Schönheit. Ole Luk schreit, als würde er sich selbst auflösen, und spielt dazu Gitarren, die so erhaben wie erbarmungslos klingen. Der Sound ist roh, aber nicht verwaschen – wie ein sauber geschärftes Skalpell.
Thematisch sticht besonders Den der ingenting ved tvivler aldrig („Der, der nichts weiß, zweifelt nie“) heraus. Schon der Titel ist eine Faust ins Gesicht derer, die lieber Parolen als Fragen im Gepäck haben. Der Text spielt mit der Idee des Schweigens als Komplizenschaft – nicht in plakativer Form, sondern in kryptischen, fast lyrischen Versen, die sich wie kaltes Wasser unter die Haut schieben. „Stille schreit am lautesten“ – dieser Satz zieht sich wie ein bitterer Refrain durch das ganze Album. Es ist kein Zufall, dass Ole Luk den Gemeinschaftsbegriff nicht feiert, sondern zersetzt.

Auch Flagellanternes sang („Das Lied der Geißler“) trägt diesen Ansatz: ein hypnotisch repetitives Riff, getragen von einem Trommelwirbel, der an den Puls kollektiver Raserei erinnert. Wer hier keinen Schauer bekommt, sollte dringend seine Nervenbahnen überprüfen. In Arveskam („Erbscham“) schwingt dagegen eine fast elegische Note mit – die Erinnerung an ein Erbe, das man nicht haben will, und das man dennoch mit sich trägt. Ein Song, der sich langsam entfaltet wie ein düsteres Gemälde aus Blei und Asche.
Im Vergleich zu Om hundrede år fehlen mir diesmal die richtig großen, ohrwurmartigen Melodien, die sich wie eine Schneise in den Schädel brannten. Fællesskab ist sperriger, kantiger, fordernder – weniger umarmend, mehr konfrontativ. Aber genau das passt zum Thema: Hier geht es nicht um Geborgenheit, sondern um Isolation inmitten der Menge. Ole Luk komponiert nicht, um zu gefallen. Er komponiert, um zu sezieren.
Besonders stark ist, wie die Musik das Konzept stützt: Die Gitarrenläufe wirken wie endlose Spiralen, die Schlagzeugpassagen wie ein gleichmäßiger Marsch in eine klaustrophobische Zukunft. Wenn am Ende Svanesang („Schwanengesang“) erklingt, dann ist das kein zarter Abschied – es ist das knirschende Finale eines langen inneren und äußeren Zerfalls. Es ist fast, als würden sich alle Themen – individuelle Entfremdung, kollektive Schuld, ohrenbetäubendes Schweigen – noch einmal bündeln und als schwarzer Nebel davonziehen.
Textlich ist Ole Luk so direkt wie nie zuvor und gleichzeitig so poetisch wie immer. Er schreibt keine Parolen, sondern Bilder. Keine Antworten, sondern Fragen, die wie spitze Nadeln steckenbleiben. Seine Zeilen erinnern in ihrer Kälte und Klarheit an expressionistische Gedichte – kein Pathos, keine Floskeln, sondern ehrlicher, messerscharfer Blick auf das, was Menschen mit Menschen machen, wenn sie Gemeinschaft über Menschlichkeit stellen.
Ich kann nicht anders, als erneut beeindruckt zu sein. Ja, ich vermisse ein paar eingängigere Melodiebögen, die Om hundrede år so unwiderstehlich gemacht haben. Aber Fællesskab ist kein Album für den schnellen Konsum, sondern für lange, dunkle Nächte, in denen die Gedanken kreisen und das Herz schwer wird. Und genau das kann Afsky wie kaum jemand sonst: Atmosphäre, Düsternis und Poesie zu einer Einheit verschmelzen – ohne Pathos, aber mit einem gewaltigen Echo.
Bewertung: 9,0 von 10 Punkten
TRACKLIST
01. Velkommen til livet
02. Den der ingenting ved tvivler aldrig
03. Natmaskinen
04. Arveskam
05. Flaggelanternes sang
06. Svanesang