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DEEZ NUTS - Saudade (2025)

(9.869) Olaf (10/10) Hardcore


Label: Century Media
VÖ: 31.10.2025
Stil: Hardcore






Ich habe DEEZ NUTS nie für Feingeister gehalten – und genau deshalb erwische ich mich seit Tagen dabei, wie ich mit einem debilen Grinsen, kurz vorm Crowdkill, den Couchtisch umrunde. Saudade heißt das gute Stück, ein Wort, das in Portugal diese bittersüße, melancholische Sehnsucht beschreibt: die Ahnung, dass etwas Kostbares fehlt und vielleicht nie wiederkehrt. Passt, denn DEEZ NUTS klingen 2025 so reif, fokussiert und gleichzeitig so bissig, dass man die alten Exzesse nur noch als Nebel im Rückspiegel wahrnimmt – und trotzdem im selben Moment in den Pit springt.

In Portugal geschrieben und aufgenommen, innerhalb eines Monats aus dem Boden gestampft, mit Jon Markson am Mix/Master – dieser Rahmen erklärt, warum Saudade trotz aller Aggression eine merkwürdig warme, zusammengezogen-federnde Energie hat, die bei jedem Break wieder aufspringt. Line-up? JJ Peters und RealBad (Matthew Rogers) haben mit Apolinário „Poli“ Correia (Bass; Devil In Me, Sam Alone & The Gravediggers) und Jesse Labovitz (Drums; No Warning) zwei Schwergewichte an Bord geholt; produziert wurde zum vierten Mal von Andre Neufeld – mehr eingespielte Seilschaft geht kaum.

Wer die Bandgeschichte nachzeichnet, versteht diese Platte besser: 2007 in Melbourne um Ex-I Killed the Prom Queen-Drummer JJ Peters gestartet, mischten DEEZ NUTS Hardcore mit Hip-Hop-Attitüde, legten mit Stay True, This One’s for You, Bout It! und Word Is Bond einen ruppigen, zuerst hedonistischen, später ernster werdenden Katalog hin und bollerten sich über Binge & Purgatory bis You Got Me Fucked Up (2019) in die Oberliga des „Bounce“-Hardcore. Der Mix aus Rap-Phrasierung, Zweischritt-Grooves und Circle-Pit-Therapie war nie subtile Kunst – aber immer hocheffektiv. Saudade setzt genau hier an, nur mit dickerer Haut, fokussierterem Songwriting und spürbar mehr persönlichem Gewicht.

Der Pressetext behauptet, die Texte seien von notorischer Eskalationslust zu „hochpersönlich“ gekippt, Geschichten vor allem aus den letzten fünf Jahren – und ja, das hört man: weniger Party-Parolen, mehr Rückblick, Wut und Selbstverortung. Die Wortbedeutung von Saudade selbst legt sich wie eine zweite Haut über die Hooks und Shouts. Wenn JJ Peters die Strophen rappt, brüllt, rausschreit, als stünde ein Sauerstoffzelt hinterm Mikro bereit, dann liegt genau diese Spannung in der Luft: zwischen Verlust und Vorwärtsgang. Ich steh wie Sau auf diese Bollo-Street-Attitüde – und ich sehe unseren Schrod auf seiner Wolke grinsend im Takt mitwippen.

Musikalisch ist das der dicke, elastische Hardcore-Prügel, den ich mir von DEEZ NUTS wünsche. Kein modern-metallischer Überbau, kein Click-Quantisierungsbrei – sondern riffsatte, „on-the-one“ getrimmte Grooves, Bassläufe mit Charakter (Poli bringt deutlich Devil-In-Me-DNA mit), Drums, die eher den Körper als den Taktstock dirigieren, und eine Gitarrenarbeit, die zwischen Beton und Ohrwurm pendelt. Dass Andrew Neufeld wieder am Hebel sitzt, spürt man an den Kompakt-Arrangements, die trotz Stakkato-Härte Luft zum Atmen lassen; und wenn in Hang The Hangman sein Comeback-Kid-Organ durchblitzt, ist das weniger Feat-Trophäe als organische Erweiterung.

Die Tracklist zieht schnurgerade Schneisen: keine Ausfälle, null Leerlauf, jeder Refrain ein Startsignal. Und ja: Wenn Hatebreed gerade nicht wollen, dann müssen eben die DEEZ NUTS für zünftigen Hüpf-Hardcore sorgen – mit einer Vehemenz, Brutalität und Intensität, dass man Schweiß und gebrochene Rippen im Pit fast riechen und spüren kann. Der Bounce federt, die Shouts kleben, die Mosh-Markierungen sind mit Filzstift auf die Stirn geschrieben. Hier stimmt so gut wie alles: Brutalität, Aggression, Texte, Phrasierung und Attitüde – nichts wirkt aufgesetzt, alles wirkt schlicht brutal.

Dass Saudade in Portugal entstand, ist mehr als Anekdote: Dieser Ort erklärt die Titelwahl, die Warm-Kalt-Dynamik der Songs und die neue Ernsthaftigkeit. Gleichzeitig bleibt die Band, was sie immer war: eine australische Hardcore-Maschine mit Hip-Hop-Aroma, gewachsen aus der Szene Melbournes, nach zig Touren gestählt und seit jeher JJ-getrieben – nur eben mit noch mehr Herzblut im Tank. 2025 sitzt die Crew so tight, wie ich sie selten gehört habe.

ch wollte dieses Jahr eigentlich keine Höchstnoten mehr vergeben. Doch zwei Fakten sprechen dagegen: 1) Besser kann man Hard-/Hüpfcore 2025 nicht spielen. 2) „Wenn du BATTLE BEAST 7 gibst, müssen DEEZ NUTS die volle Punktzahl bekommen“, sagt meine Frau – und ganz Unrecht hat sie nicht.

Saudade bedeutet Sehnsucht nach dem Verlorenen – DEEZ NUTS übersetzen das in 33 Minuten Katharsis aus Beton und Adrenalin. Reifer, persönlicher, aber ohne Weichzeichner. Das ist die Sorte Platte, nach der man sein Wohnzimmer nach Fluchtwegen absucht, den Nacken dehnt und sich fragt, warum eigentlich nicht jeden Abend Pit-Therapie auf Rezept ist. Selten war ein Kontext so schlüssig hörbar.


Bewertung: 10 von 10 Punkten


TRACKLIST

01. ICU
02. Kill this Shit
03. 5 Gold Chains
04. Russian Roulette
05. Uncut Gems
06. Miss me with that
07. Hang the Hangman (feat.Andrew of Comeback Kid)
08. God Damn
09. Give em Hell
10. Cold Sweat 



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