CENTINEX – With Guts and Glory (2025)
(9.864) Olaf (8,4/10) Death Metal

Label: Black Lion Records
VÖ: 07.11.2025
Stil: Death’n‘Roll
Ich habe eine dieser Playlists, die seit Jahren wächst wie ein widerspenstiger Bart – und irgendwo mittendrin leuchtet CENTINEX’ Moist Purple Skin von Redeeming Filth (2014). Seitdem freue ich mich auf jedes neue Lebenszeichen dieser alten schwedischen Todschmiede. With Guts and Glory ist nun Album Nummer zwölf, erscheint am 7. November 2025 bei Black Lion Records – und es ist, ohne Umschweife, ein spezielles CENTINEX-Album. Nicht, weil die Band ihre Geschichte vergessen hätte, sondern weil sie den Kompass bewusst ein paar Grad weg vom klassischen HM-2-Sägewerk gedreht hat.
Zur Einordnung: 1990 gegründet, 2005 abgetreten, 2014 mit frischem Line-up wiederauferstanden, legten CENTINEX nach Redeeming Filth (2014) und Doomsday Rituals (2016) mit Death in Pieces (2020) die bislang kompromissloseste Stockholm-Schule vor; die Pestilence-EP (2022) roch bereits nach Thrash und Straßendreck. 2024 kündigte As You Die eine kleine tektonische Verschiebung an – und genau die zieht With Guts and Glory nun groß. Der Sound ist klar strukturiert, akzentuiert und ballert von vorn bis hinten; nur die Rezeptur ist eine andere: massive Hardcore-Punk-Schlagseite, reichlich Venom-Biss, dazu Death’n’Roll-Schmutz und klassischer Heavy-Groove. Erst irritierend – dann suchterzeugend. Je öfter ich das Ding höre, desto besser schmeckt es.
Die Band liefert dazu die passende Haltung gleich mit: „Dieses Album ist in erster Linie für uns selbst gemacht. Keine Jagd nach Trends, keine Erwartungen – nur die Musik, die wir lieben. Schwer, intensiv, ohne Entschuldigung.“ Wer CENTINEX länger begleitet, weiß: Hinter den großen Gesten steckt bei ihnen keine Pose, sondern Pragmatismus. Oder, um es in ihrer zweiten Aussage zu lassen: „Es wird immer Leute geben, die die Vergangenheit zurückwollen – das verstehen wir. Aber wir wollen nicht dieselbe Platte immer wieder machen. Neue Wege zu erkunden, war für CENTINEX immer essenziell – und das bleibt so.“ Das liest sich nicht nur gut, das hört man in jeder Rille.
Musikalisch heißt das: Becoming spannt den Bogen zwischen altem Grollen und neuem Vorwärtsdrall; Your Religion Dies Tonight (als Single prädestiniert) marschiert mit flintenartiger Direktheit – kein Ornament, nur Aussage. Gods of Guilt und Masterpiece in Flesh tänzeln auf dieser Linie zwischen Punk-Zunder und Death-Metal-Ernst, während Symphony of Screams das Venom-Gen aufblitzen lässt: dreckig, höhnisch, mit dem berühmten „Wir rollen mit den Augen und treten dir die Tür ein“-Vibe. Und klar: Die puristischen Köpfe bekommen ebenfalls ihre Vitamin-Uffta-Ration – I Am the Way und In My Dreams bedienen das Bedürfnis nach straighten Death-Metal-Brettern, die ohne Umwege in die Nackenmuskulatur hämmern. Dass gerade die „andersartigen“ Stücke heute die größeren Adrenalinschübe erzeugen, macht den Reiz aus: CENTINEX sind hier nicht weniger CENTINEX, sie sind nur breitbeiniger und wagemutiger.

Henka Andersson phrasiert mit viel Kantigkeit – nicht überdramatisiert, sondern griffig; Jörgen Kristensen streut Hakenriffs und kurze Lead-Spitzen, die nie in „Show-Meisterschaft“ kippen; Martin Schulman legt den Beton im Untergrund, während Florian Rehn die Songs mit schnörkelloser Effizienz nach vorn peitscht. Der Mix lässt Luft, nimmt aber jede Ausrede: Wenn etwas im Arrangement stehen soll, steht es im Frontlicht; wenn nicht, bleibt es im Schatten. Dieses „clean dreckige“ Klangbild ist die halbe Wahrheit der Platte – der Rest ist Attitüde. Und die lautet: nicht entschuldigen, nicht erklären, einfach machen.
Textlich wirkt das Album wie ein Katalog aus Schuld, Trotz und Grenzüberschreitungen – kurze, markige Bilder, die in diese neue, punkigere Direktheit passen. Kein pseudo-philosophisches Lametta, eher die Faust, die nach dem dritten Schlag noch mal nachlädt. Wo ältere CENTINEX-Scheiben gern im Morast der Fäulnis schwelgten, dominiert hier das Brennen im Jetzt: „Deine Religion stirbt heute Nacht“ ist keine Metapher für später, sondern eine Kampfansage im Präsens. Dass die Band dazu keinen Fußnotenapparat braucht, macht die Texte stärker, nicht schwächer.
Was bleibt? Ein Album, das die Historie respektiert, ohne sie zu imitieren. Ein Statement, das nicht mit Vintage-Farbe arbeitet, sondern mit neuem Asphalt. Ich mochte CENTINEX schon in ihrer „glänzend-rostigen“ Moderne ab 2014 – meine Playlist lügt nicht –, aber With Guts and Glory holt mich auf einer anderen Ebene ab: weniger Schichtarbeit am HM-2-Fließband, mehr Hinterhof-Krawall mit Plan. Wer ausschließlich das alte Sägewerk will, findet hier genug Stahl. Wer darüber hinaus Hunger auf Risiko hat, findet endlich Mahlzeit.
With Guts and Glory ist kein Nostalgie-Souvenir, sondern ein Ehrenabzeichen aus frischen Schrammen. Weniger Ikonenduft, mehr Straßendreck. Das Album stolziert nicht, es marschiert – und wer danebensteht, bekommt unweigerlich Staub in die Lunge. Genau so muss Reife klingen: sicher im Selbst und offen für Schlagseite.
Anspieltips
🔥Your Religion Dies Tonight
💀Symphony of Screams
🎸I Am the Way
Bewertung: 8,4 von 10 Punkten
TRACKLIST
01. Becoming
02. Your Religion dies tonight
03. Gods of Guilt
04. I am the Way
05. A Masterpiece in Flesh
06. In my Dreams
07. Symphony of Screams
08. Sorrowtears