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TESTAMENT – Para Bellum (2025)

(9.846) Olaf (8,5/10) Thrash Metal


Label: Nuclear Blast
VÖ: 10.10.2025
Stil: Thrash Metal






Ich gestehe: Als ich das erste Mal auf Para Bellum klickte, saß ich mit dieser merkwürdigen Mischung aus Vorfreude und Skepsis vor den Boxen. Vierzehn Alben in fast vier Jahrzehnten – da hat man als Hörer alles durch. Die frühen Meisterwerke, die schwankenden Neunziger, die fulminante Wiedergeburt mit The Formation of Damnation und Dark Roots of Earth, und zuletzt das wuchtige Titans of Creation. Aber 2025? Ein weiteres Kapitel in der Saga der Bay-Area-Veteranen? Ich war vorsichtig optimistisch – und bekam prompt ein musikalisches Hieb-und-Stich-Training verpasst.

TESTAMENT waren nie eine Band, die es sich bequem gemacht hat. Sie haben Thrash geprägt, überlebt, reformiert, modernisiert – und jetzt, mit Para Bellum, wagen sie einen Schritt, der zugleich konsequent und riskant ist. Schon der lateinische Titel – „Wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor“ – ist keine hohle Phrase. Es ist das Konzept des Albums: ein klingendes Manifest über die Notwendigkeit, sich dem Chaos zu stellen, bevor es dich verschlingt. Und genau das hört man – in jeder Note, jedem Wechsel, jedem Bruch.

1. Drittel: Kriegserklärung mit Blastbeats

Der Auftakt haut einem sofort den Helm vom Kopf. For the Love and Pain und Infanticide A.I. liefern High-Speed-Thrash mit Blastbeat-Salven, die man in dieser Vehemenz von TESTAMENT kaum kennt. Schlagzeugneuzugang Chris Dovas ballert, was das Zeug hält – präzise, brutal, technisch – aber: Es fühlt sich fremd an. Ich mag Blastbeats, aber nicht bei TESTAMENT. Die Band war immer dann am stärksten, wenn Groove und Wucht ineinandergriffen, wenn sich diese unterschwellige Spannung zwischen Melodie und Aggression aufbaute. Hier aber wirken die ersten beiden Songs wie ein Überfallkommando ohne Rückzugsplan – beeindruckend, aber etwas zu mechanisch.

Und dann kommt Shadow People – und plötzlich ist wieder alles da, was diese Band ausmacht. Dieses mid-tempo-Schleppen, die düstere Atmosphäre, Chucks Stimme, die zwischen grollender Wut und melodischer Kontrolle changiert. Wenn er singt, „I see them hiding in the shadows“, hat das etwas fast Prophetisches. Der Song trägt eine gespenstische Intensität in sich, die perfekt zum Thema passt: Isolation, technologische Überreizung, der Verlust von Menschlichkeit im digitalen Dunst. Ein Highlight, das zeigt, dass TESTAMENT immer noch wissen, wo ihr Herz schlägt.

Dann kommt die Überraschung des Albums – und vielleicht des Jahres: Meant to be. Eine fast achtminütige Halbballade, orchestriert, mit echtem Cello von Dave Eggar. Laut Eric Peterson war das „wie ein Atemzug frischer Luft“. Stimmt. Der Song klingt, als hätte man ein verlorenes Fragment aus der Practice What You Preach-Ära ausgegraben und ihm neues Leben eingehaucht. Chucks Gesang trägt die Komposition, und wenn das Stück gegen Ende Fahrt aufnimmt, wirkt es fast kathartisch – ein emotionaler Höhepunkt mitten im Schlachtfeld.

2.Drittel: Zwischen Genie und Chaos

Das zweite Drittel des Albums ist ein Wechselbad. High Noon – herrlich! Ein Paradebeispiel für späten TESTAMENT-Thrash: schwere Riffs, strukturierte Dynamik, Skolnick in Hochform, und Dovas zügelt hier seine Sturmtruppen-Ambitionen zugunsten von Groove und Fluss. Der Song wirkt wie eine Fortsetzung von The Gathering – staubig, gefährlich, kompromisslos. In einem Interview witzelte Chuck Billy: „Who’s the fastest? It sounds like there is about to be a draw.“ – genau das beschreibt den Spirit dieses Songs: zwei Revolverhelden, die sich gegenseitig an der Grenze halten.

Leider folgt darauf ein kleiner Bruch. Witch Hunt startet mit einem sensationellen Riff, nur um dann erneut in Blastbeats zu verfallen, die dem Song seine Luft nehmen. Ich verstehe, dass Peterson seine Black-Metal-Einflüsse ausleben wollte – und das ist per se spannend –, aber manchmal klingt’s, als wollte man Emperor und The Gathering gleichzeitig bedienen. Das Ergebnis: ein wilder, aber etwas zerrissener Mix. Nature of the Beast fällt dagegen völlig ab. Handwerklich sauber, aber ohne Wiedererkennungswert – das könnte von jeder gut produzierten Thrash-Band stammen, aber nicht von TESTAMENT. Es bleibt das schwächste Stück des Albums.

Man spürt hier, wie das Album zwischen Tradition und Experiment taumelt. Der neue Drummer bringt Energie und Tempo, Peterson streut Black-Metal-Flair ein, und Skolnick lotet melodische Räume aus, die sonst eher bei Alex Lifeson zu finden wären. Das ist an sich faszinierend, aber nicht immer kohärent. Vielleicht musste diese Unruhe einfach sein – als Ventil, als Ausdruck eines inneren Umbruchs. Denn in der zweiten Hälfte stabilisiert sich das Ganze, als hätte die Band endlich ihre Balance gefunden.

3. Drittel: Der Siegezug!

Room 117 ist simpel, direkt, ehrlich. Ein Song, der eigentlich gar nicht funktionieren dürfte – aber tut es. Der Groove sitzt, der Refrain bleibt hängen, und plötzlich sind da wieder diese TESTAMENT-Vibes, die man kennt und liebt. Keine Kunststücke, kein Überbau, einfach Thrash-Metal mit Haltung. Danach Havana Syndrome: Midtempo-Brett mit saufetten Riffs und einer dichten, fast paranoid-bedrohlichen Stimmung. Man hört Steve DiGiorgio hier besonders stark – sein Bassspiel ist eine Art schleichender Dämon, der den Songs Tiefe gibt, ohne aufzufallen.

Und dann: der Titeltrack. Para Bellum. Ein Finale, wie man es sich wünscht. Hier fügt sich alles: Riffarchitektur, Dynamik, Pathos. Chuck Billy spuckt Gift und Galle, wechselt zwischen Grollen, Singen und beinahe Predigen. Die Gitarren sind monumental, das Schlagzeug druckvoll, die Atmosphäre opernhaft. Wenn man den Song laut hört – und nur so sollte man ihn hören – hat man fast das Gefühl, einer Thrash-Metal-Oper beizuwohnen: Aggression, Melodie, Drama. Am Ende bricht das Stück in ein fast friedliches Ausklingen über – Petersons klassizistische Fingerübungen, mit denen er sich vor jeder Probe aufwärmt, werden hier zum Epilog eines Krieges, der gewonnen, aber nicht ohne Wunden überstanden wurde.

Zwischen Vergangenheit und Gegenwart

Was Para Bellum so spannend – und anstrengend – macht, ist sein innerer Konflikt. TESTAMENT stehen hier zwischen den Welten: Die 80er-Wurzeln sind da, aber sie werden mit moderner Härte, technischer Brillanz und fremden Einflüssen kollidiert. Eric Peterson hat sich hörbar aus seiner Komfortzone bewegt, Alex Skolnick spielt, als wollte er beweisen, dass Thrash noch immer Intelligenz haben darf, und Steve DiGiorgio liefert einmal mehr das Fundament, das jede Eskapade trägt. Chuck Billy wiederum ist der Fels in der Brandung – seine Stimme, diese Mischung aus archaischer Kraft und menschlicher Verletzlichkeit, hält alles zusammen.

Manchmal, wenn er leise flüstert, klingt er wie ein Prophet, der in den Trümmern seiner eigenen Schöpfung steht. Dann wieder brüllt er die Welt an, als wolle er sie zur Ordnung rufen. Es ist faszinierend, wie dieser Mann über die Jahre nur besser geworden ist. Die Lyrics – mit Unterstützung von Del James und anderen Weggefährten – sind weniger politisch direkt, sondern mehr Beobachtungen einer Zivilisation am Rande des Zusammenbruchs: Maschinen, Glaube, Isolation, Verblendung. In For the Love and Pain wird die Liebe selbst zum Kriegsgrund, in Shadow People lauert das Unbekannte hinter jedem Bildschirm. Alles hängt zusammen, ohne belehrend zu wirken.

Die Produktion – erstmals von Jens Bogren gemischt – ist ein zweischneidiges Schwert: klinisch sauber, brillant ausbalanciert, aber vielleicht zu perfekt. Es fehlt manchmal das leicht Schmutzige, das The New Order oder Low so lebendig machte. Doch im Gegenzug hat man eine Durchhörbarkeit, die jedes Detail hervorhebt. Juan Urteagas Aufnahme klingt erdig, Bogrens Mix kühl – und dazwischen tobt der Krieg, um den es im Titel geht.

Eliran Kantors Cover ist wieder ein Meisterstück. Ein Engel aus Raketen, Explosionen als Heiligenschein, maskierte Kultisten mit Schaufeln – ein Albtraum in Acryl, eine Metapher für blinden Glauben und selbstverschuldete Zerstörung. Und das Beste: Es ist von Hand gemalt, nicht KI-generiert. In einer Zeit, in der selbst Kunst automatisiert wird, ist das fast schon ein rebellischer Akt. Es rundet das Album perfekt ab, weil es genau das widerspiegelt, was TESTAMENT hier musikalisch tun: Sie behaupten das Menschliche im Maschinenzeitalter.

Ich gebe zu: Beim ersten Durchlauf war ich nicht begeistert. Ich fand es unruhig, überladen, teilweise anstrengend. Doch je öfter ich es hörte, desto mehr erschloss sich der Sinn. Para Bellum ist kein einfaches Album. Es fordert Geduld, Offenheit und die Bereitschaft, TESTAMENT nicht nur als Denkmal, sondern als lebendige, experimentierende Band zu sehen. Ja, es gibt Momente, die mich nerven. Ja, manche Ideen wirken forciert. Aber verdammt – lieber eine Band, die riskiert, als eine, die auf Autopilot läuft. Im Endeffekt ist Para Bellum kein Krieg gegen den Hörer, sondern ein Krieg um künstlerische Relevanz. Und den gewinnen sie.

Anspieltips:
☠️ Para Bellum
🎸 Shadow People
🔥 Havana Syndrome
🎸 Meant to be


Bewertung: 8,5 von 10 Punkten


TRACKLIST

01. For the Love and Pain
02. Infanticide A.I.
03. Shadow People
04. Meant to be
05. High Noon
06. Witch Hunt
07. Nature of the Beast
08. Room 117
09. Havana Syndrome
10. Para Bellum 



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