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TAG 2 - Samstag, 07.08.2025

Fanboy Momente und Fotobomben

Der zweite Festivaltag startete mit trüben Aussichten – und das nicht nur wettertechnisch. Der Himmel zog bereits am frühen Morgen finstere Mienen, als wollte er uns persönlich mitteilen: „Heute wird’s nass.“ Ausgerechnet am Tag, der im Vorfeld als der „schwächste“ gehandelt wurde – wobei sich dieser vermeintliche Tiefpunkt bei näherer Betrachtung als gut verstecktes Sammelsurium an Highlights entpuppen sollte. Denn auch an diesem Tag war für musikalischen Nachschub und Nackenschmerzen bestens gesorgt.

Zur seelischen und körperlichen Stärkung führte unser Weg erneut in den schon fast hauseigenen American Diner unseres Vertrauens. Dort wartete nicht nur das beste Rührei westlich des Mississippi auf uns, sondern auch das vertraute Grinsen unserer Berliner Brutz & Brakel-Kumpanen, mit denen man immer ein Bier teilen kann und sollte. Christian, am Vortag noch leicht angenervt von zu wenig Schlaf und dem trüben Wetteraussichten, taute beim Anblick von Speck und starkem Kaffee endlich auf – sein Gesicht entspannte sich zusehends, und man hörte sogar ein erstes „Geil!“ kurz nach dem zweiten Bissen.

Auf dem Weg zum Gelände folgte dann der nächste Tagesordnungspunkt: Anti-Veltins-Versorgung. Kaufland war’s – der Wallfahrtsort aller Dosenbierpilger –, doch mein persönlicher Höhepunkt fand auf dem Parkplatz statt. Im Eifer des Gefechts ließ ich meinen Rucksack ungeschickt zu Boden sausen. Das Resultat: Eine volle Flasche Rum verabschiedete sich mit einem satten „Plopp“ ins Jenseits und hinterließ eine aromatische Duftwolke, die mich den restlichen Tag über wie einen Endzeit-Piraten auf kaltem Entzug erscheinen ließ. Immerhin: Der alkoholfreie Captain Morgan überlebte den Sturz – ein Paradoxon mit Happy End.

Pünktlich um zwölf Uhr standen wir auf dem Gelände – bereit für den ersten musikalischen Knall des Tages. Die etwas grau und kurz geratene Mähne war noch trocken, die Stimmung dank Frühstück und Rumfahne gelöst, und das Herz schlug bereits im Takt der ersten Gitarrenriffs. Bühne frei für Tag zwei – er hatte definitiv mehr zu bieten als sein Ruf.

Wenn ihr euch Amethyst nicht anschaut, gibt's Repressalien!“ – Klare Worte von Redaktionskollege Phillip, der dabei einen Gesichtsausdruck auflegte, als hätte ihm jemand das letzte Bier aus dem Kühlschrank geklaut. Drohgebärden dieser Art nimmt man im Festival-Kontext natürlich ernst – zum Glück, denn sonst hätten wir eine mitreißende Show verpasst.

Amethyst kommen aus der Schweiz und existieren seit 2021 – was angesichts ihrer Professionalität und Spielfreude fast schwer zu glauben ist. Ihr Sound? Eine Liebeserklärung an den klassischen Heavy Metal, irgendwo zwischen britischer NWOBHM-Schule, US-Melodic-Metal und einer Prise epischem Pathos. Kein Wunder also, dass wir die Band bereits in unserer THE NEW BREED-Rubrik interviewt haben. Und auch live zeigen die Eidgenossen, dass sie keine Eintagsfliege, sondern eine gut geölte Rock’n’Roll-Maschine sind.

Schon das Eröffnungsintro – das The Good, The Bad and The Ugly – Main Theme von Ennio Morricone – sorgte für kollektive Gänsehaut. Wer mit solch ikonischer Western-Soundtrack-Dramatik in den Ring steigt, weiß entweder genau, was er tut – oder hat sehr große Eier. Im Fall von Amethyst trifft beides zu.

Mit Embers on the Loose ging es direkt energiegeladen los, gefolgt vom groovenden Running Out of Time, der bei der textsicheren Crowd schon die ersten Fäuste in die Höhe schnellen ließ. Frontmann Fredric überzeugte mit ausdrucksstarker Stimme, starker Bühnenpräsenz und sympathischer Ansprache. Die Gitarristen Yves und Phil wiederum feuerten sich die Leads gegenseitig zu wie bei einem Hochgeschwindigkeits-Schachduell mit Marshall-Türmen – mal verspielt, mal dramatisch, immer auf den Punkt. Besonders Queen of a Thousand Burning Hearts erwies sich als massiver Hit – getragen, hymnisch, einfach mitreißend.

Das Publikum? Hatte ganz offensichtlich richtig Bock. Von den vorderen Reihen bis weit nach hinten wurde mitgegangen, gebangt und gejubelt. Auch wenn es sicher keine tausende Leute waren, war der Platz vor der Bühne mehr als gut gefüllt – und allen Anwesenden stand die Begeisterung ins verschwitzte Gesicht geschrieben. Egal ob Nightstranger, das schleppend-düstere Rock Knights oder das treibende Into the Black – hier saß jeder Ton, jedes Break, jeder Refrain. Bei Chasing Shadows wurde es noch einmal besonders emotional, bevor das furiose Stormchild den Gig mit einem Paukenschlag abschloss.

Unterm Strich: Phillip hatte recht. Amethyst liefern nicht nur auf Platte, sondern ganz besonders auf der Bühne ab. Dass sie noch zu den „Newcomern“ zählen, merkt man höchstens daran, dass ihr Logo noch nicht auf jeder Kutte klebt – aber das dürfte sich bald ändern. Mir hat’s gefallen. Dir hätte es gefallen. Und den vor der Bühne bangenden Metalheads offenbar auch.

THE NIGHT ETERNAL haben es tatsächlich geschafft, das Rock Hard Festival zu verzaubern – und das als zweite Band des Tages. Viel zu früh, wenn man mich fragt, denn was die fünf sympathischen Herren aus dem Ruhrgebiet da ablieferten, hätte genauso gut als Headliner funktioniert. Aber gut, der frühe Vogel fängt bekanntlich die Metaller, und so standen erstaunlich viele schon mit Bier und Kutte bewaffnet vor der Bühne, bereit für feinsten Dark Heavy Metal.

Dass THE NIGHT ETERNAL nicht nur auf der Bühne überzeugen, sondern auch im Herzen dieses Festivals verwurzelt sind, machte Frontmann Ricardo klar, als er mit einer Mischung aus Stolz, Rührung und entwaffnender Ehrlichkeit verkündete, dass man sich als Band genau hier kennengelernt habe. Und das Rock Hard Festival das beste der Welt sei. Normalerweise rollen wir bei solchen Aussagen kollektiv mit den Augen – aber nicht hier. Das war so aufrichtig, knuffig und irgendwie zuckersüß, dass selbst der grimmigste Oldschool-Thrasher kurz mit dem Grinsen kämpfen musste. Darf man das beim Heavy Metal überhaupt sagen? Uns doch egal. Es war schön.

Die Sonne ließ sich von dieser Charmeoffensive ebenfalls bezirzen und lugte immer wieder zwischen den Wolken hervor, als wolle sie Stars Guide My Way visuell untermalen. Der Sound? Nahezu perfekt. Klar, druckvoll, mit einem glasklaren Mix, der jedes Riff und jede Melodielinie voll zur Geltung brachte. Die Band? Locker, leidenschaftlich, bestens aufeinander eingespielt – besonders bei Run With the Wolves und Elysion (Take Me Over) ein Hochgenuss für Freunde von epischem, melodisch-düsterm Heavy Metal, der mehr nach alten MAIDEN als nach Retro-Poserei klingt.

Mit Songs wie Moonlit Cross und In Tartarus zeigten sie endgültig, dass sie nicht nur große Gefühle, sondern auch mächtige Riffs können. Dazu ein Sänger, der nicht nur über eine fantastische Stimme verfügt, sondern auch das gewisse Etwas zwischen charismatischer Bühnenpräsenz und „Typ von nebenan“-Vibes mitbringt. Kurz gesagt: Wahnsinnig sympathisch, tolle Musik und grandiose Musiker und Typen. Ich denke, da könnte ich glatt Fanboy werden.

THE NIGHT ETERNAL waren ein ganz klares Highlight – und hätten es definitiv verdient gehabt, weiter oben im Billing zu stehen. Aber vielleicht ist genau das der Punkt: Wer die Band hier gesehen hat, wird später einmal erzählen können, dass er Prince of Darkness noch am helllichten Tage gefeiert hat. Und dass er danach ein neues Lieblingsshirt und eine Band mehr auf dem Zettel hatte.

THE GEMS also – oder wie man in Schweden offenbar sagt: Wenn euch der Rausschmiss aus einer Band nicht umbringt, dann macht ihr eben eine neue auf. Und so standen sie da, die drei geschassten Ex-Thundermother-Mitglieder Guernica Mancini (Gesang), Emlee Johansson (Drums) und Mona “Die Coolness in Person” Lindgren (Bass/Gitarre, diesmal mit Saiten), ergänzt um einen männlichen Tieftöner, dessen Name wohl irgendwo in einem Backstage-Faxgerät vergessen wurde. Schade eigentlich, der gute Mann machte seinen Job tadellos – aber THE GEMS sind ganz klar ein Power-Trio mit Anhang.

Optisch kam man sich kurz vor wie bei einer uniformierten Rock’n’Roll-Parade: Bunte Leder Klamotten, glänzende Details, ein Look, der irgendwo zwischen Stadionrock und Bikerbar angesiedelt war. Einheitlich, stilvoll, aber nicht steril – das Auge rockte mit.

Musikalisch startete das Ganze ebenfalls vielversprechend. Songs wie Queens, Send Me to the Wolves oder Domino zündeten direkt und ließen den gewohnt druckvollen Sound schwedischer Prägung aus den Boxen krachen. Die Riffs saßen, die Rhythmen groovten, und selbst die Sonne schien ihren Hut zu ziehen. Es war laut, es war rotzig – alles schien in bester Ordnung.

Doch irgendwann kippte die Stimmung. Nicht etwa, weil das Publikum nicht mitging – im Gegenteil, viele feierten die Band euphorisch – sondern weil Frontfrau Guernica Mancini einfach ein wenig zu viel wollte. Ihr kraftvoller, rauer Gesang ist zweifellos ein Markenzeichen, aber im Verlauf des Sets wurde mir das Ganze zunehmend anstrengend. Die ständigen hohen Schreie und das doch sehr präsente Organ führten bei mir eher zu Ohrenverspannungen als zu Rock’n’Roll-Gänsehaut. So gut gemeint wie gemein: Auf Albumlänge mag das funktionieren, live in der prallen Sonne auf der großen Bühne war das irgendwann eine Spur zu viel des Guten.

Und genau da liegt auch der Knackpunkt: THE GEMS hätten im Club vermutlich deutlich besser gewirkt – intensiver, fokussierter, mit der Möglichkeit, der Energie der Band näherzukommen. Auf der Festivalbühne hingegen verloren sich starke Songs wie Undiscovered Paths, Ease Your Pain oder das durchaus hymnische Like a Phoenix ein wenig im schallenden Einerlei.

Positiv hervorzuheben bleibt die musikalische Leistung insgesamt – eingängig, tight gespielt, viele Songs mit Ohrwurmqualitäten. P.S.Y.C.H.O. und Kiss It Goodbye zeigten, dass die Band auch moderne Akzente setzen kann, Silver Tongue punktete mit bluesiger Schlagseite und Force of Nature gab sich betont kämpferisch. Nur eben: weniger wäre hier mehr gewesen.

Wer sich bei Fruits of My Labor oder Live and Let Go ein wenig zu sehr auf den Gleichklang der Skandi-Rock-Formel verlässt, verliert live rasch an Dynamik. Trotzdem: THE GEMS sind ein starkes Projekt mit Charisma, guten Songs und einer Attitüde, die man mögen kann – wenn man Guernicas Kreischfrequenz dauerhaft erträgt. Für mich in kleinen Dosen wunderbar – für die Festivalbühne um diese Uhrzeit aber schlicht zu früh. Im Club würde ich’s dennoch gern nochmal erleben.

DOOL sind eine dieser Bands, die Musikjournalisten gerne als „schwer greifbar“ bezeichnen, wenn sie höflich sagen wollen: „Ich weiß auch nicht genau, was das soll.“ Seit 2015 mischen die Niederländer rund um Sängerin und Ex-The Devil’s Blood-Bassistin Ryanne van Dorst okkulte Rock-Melancholie, düstere Gothic-Vibes und psychedelisch verhangene Momente zu einem Sound, der oft so klingt, als würde eine Nebelbank in Zeitlupe mit einem Lavafeld kollidieren. Auf Platte versuche ich es seit Jahren immer wieder – ehrlich! – aber der berühmte Funke? Er bleibt aus. Vielleicht bin ich einfach zu stumpf für diese Sorte Tiefgang oder meine Seele ist bereits von zu viel Tankard-Humor zerfressen. Aber gut, neue Chance: live.

Und was soll ich sagen: das Publikum sah das alles völlig anders. Der Platz vor der Bühne war bestens gefüllt, die Stimmung andächtig bis ekstatisch und bei The Shape of Fluidity schwebte ein Teil der Menge offenbar kollektiv Richtung andere Sphäre. Spätestens beim düsteren Brecher Self-Dissect war klar: meine persönlichen Ressentiments interessieren hier keine Sau – DOOL wurden frenetisch abgefeiert, als gäbe es Freibier und Gruftisex auf Rezept.

Soundtechnisch war alles im grünen Bereich, das Stageacting passte, auch wenn Ryanne zwischendurch etwas sehr in sich gekehrt wirkte – was aber natürlich exakt zur mystischen Aura der Band gehört. Und dann kam der Wettergott ins Spiel. Wolf Moon erklang, und pünktlich zur Zeile „Run through the dark, run through the fire“ öffnete der Himmel in bester biblischer Konsequenz seine Schleusen. Was folgte, war der erste richtig fiese Regenschauer des Wochenendes, der Haare, Klamotten und Notizbücher gleichermaßen durchweichte. Für einen Moment verschmolzen Musik, Naturgewalt und Stimmung zu einem durchaus beeindruckenden Bild – The Alpha und Venus in Flames knisterten geradezu atmosphärisch durch die Tropfen.

Doch als House of a Thousand Dreams verklungen war und Hermagorgon mit seinem zähen Doom-Wabern alles umarmte, was nass und nachdenklich war, fühlte ich mich zwar nicht gelangweilt, aber auch nicht erleuchtet. Es war okay. Oweynagat als Schlusspunkt konnte die Waage nicht mehr Richtung Begeisterung kippen. Ich werde meine DOOL-Platten jetzt nicht öffentlich verbrennen – aber sie werden auch weiterhin ein einsames Dasein im Regal fristen, zwischen den ungehörten Alben von Anathema und einem nie ganz durchgestiegenen Opeth-Livebootleg.

DOOL liefern, was man erwartet: große Gefühle, düstere Epik, ein Hauch Okkultismus – und das in handwerklich sauberer Manier. Wer sich darin verlieren kann, bekam ein starkes Konzert. Wer wie ich lieber im Takt eines simplen Riffs mitnickt, blieb eher außen vor – und klitschnass.

2024 war ein Jahr der Tränen. Nicht etwa, weil mein Lieblingsverein abgestiegen ist oder mir das letzte Astra aus dem Festivalrucksack lief – nein, weil THRESHOLD ihre Show auf dem Rock Hard Festival kurzfristig absagen mussten. Für mich als treuen Anhänger seit dem göttlichen Debüt Wounded Land war das ein herber Schlag. Doch 2025 wurde alles gut. Besser gesagt: es wurde ein Triumphzug. Heldenverehrung deluxe. Ich rede hier von Fanboy-Modus auf Anschlag – und das meine ich vollkommen nüchtern, obwohl Gin Tonic im Spiel war.

THRESHOLD, diese wundervollen britischen Herren aus der progressiven Ecke des Metal-Universums, betreten die Bühne und schon bei den ersten Tönen von Slipstream ist klar: Das hier wird groß. Sehr groß. Allen voran Frontmann Glynn Morgan, der – ich sag’s, wie’s ist – für mich klar die Nase vorn hat gegenüber dem ebenfalls beliebten, aber mir zu operettenhaften Damian Wilson. Morgans Stimme ist kraftvoll, emotional und perfekt auf die bombastischen Kompositionen abgestimmt. Ihn live zu erleben ist wie Sahne auf dem Schokokuchen mit einem Schuss Whisky – köstlich und ein bisschen gefährlich.

Und dann diese Musiker! Gitarrengott Karl Groom säbelt sich mit chirurgischer Präzision durch die Riffs, Richard West lässt seine Finger über die Tasten tanzen, als wolle er den Himmel selbst vertonen, Steve Anderson liefert ein Bassfundament, das Häuser zum Wanken bringt, und Johanne James trommelt mit so viel Energie, dass man ihn wahlweise für einen Zentauren auf Speed oder den jüngeren Bruder von Animal aus der Muppet Show halten könnte.

Die Setlist war ein Fest der Gefühle: Silenced, Mission Profile, Falling Away – allesamt episch, groß, mitreißend. The Man Who Saw Through Time riss mir endgültig das Herz raus, einmal poliert und dann feierlich zurück in die Brust gepflanzt. Snowblind ließ selbst die Sonne zittern, und bei Small Dark Lines war ich kurz davor, in Tränen der Rührung auszubrechen – diesmal aus Freude. Nur mein persönlicher Übersong Pilot in the Sky of Dreams fehlte wieder. Ich habe mich innerlich bereits damit abgefunden, dass ich ihn vielleicht erst als Geistererscheinung in einer posthumen Reunion hören werde.

Nach dem Konzert war ich so durch den Wind, dass ich mich zu einer meiner größten Todsünden hinreißen ließ: Ich stellte mich bei der Autogrammstunde an. Normalerweise meide ich diese Reihen wie vegane Festivalsnacks. Aber hier? Hier war alles anders. Meine Frau wurde von Drumtier James mit einem signierten Drumstick beglückt, ich bekam meine Gig-Fotos auf dem Handy signiert – inklusive einem unfreiwillig photobombenden Richard West, der sich im Hintergrund mit einem Gesichtsausdruck zwischen Orakel und Klassenclown aufs Bild schmuggelte. Man muss ihn einfach lieben.

Das war nicht nur ein Konzert, das war ein Seelenbalsam für geschundene Proggerherzen. Episch, erhaben, emotional – THRESHOLD haben abgeliefert, als ginge es um die musikalische Weltherrschaft. Und ich? Ich war kurz davor, Glynn Morgan einen Heiratsantrag zu machen. Aber dann fiel mir ein, dass ich schon verheiratet bin. Und dass mein Antrag vermutlich am Bühnenrand im Regen untergehen würde.

Wer THRESHOLD einmal live erlebt hat, weiß, dass es keine zweite Band in diesem Genre gibt, die Emotion, Technik und Melodie derart auf den Punkt bringt. Für mich war es die Erfüllung eines lange gehegten Traums – und ganz ehrlich: Ich würde dafür jederzeit wieder Schlange stehen. Sogar bei Regen.

NILE – das ist nicht einfach nur Death Metal, das ist Archäologie mit Blastbeats, Ägyptologie auf der Überholspur, und ein Ritual, bei dem der Moshpit zur Ausgrabungsstätte wird. Und während andere Bands über Zombies, Satan oder politische Ungerechtigkeiten brüllen, widmen sich die US-Amerikaner seit nunmehr 30 Jahren lieber dem alten Ägypten, der Mythologie Mesopotamiens oder der Kunst des rituellen Zerlegens.

Ein zentraler Bestandteil dieses finsteren Pharaonenwahns ist – und das sage ich nicht nur als ambitionierter, ehemaliger Hobby-Drummer mit fragwürdiger Gesangsbegabung – George Kollias. Der griechischstämmige Amerikaner gilt zu Recht als eine der Speerspitzen extremer Schlagzeugarbeit. Für mich persönlich eines der großen Vorbilder an der Schießbude. Seine Spielweise ist so präzise, dass Architekten damit Pyramiden vermessen könnten. Umso ärgerlicher, dass sein feingliedriger Donner beim Rock Hard Festival unter einem überraschend matschigen Soundbild litt. Die Toms klangen wie eine Baustelle, die Becken wie zugedeckte Mumien. Was schade ist – denn Kollias ist keiner, den man im Mix verstecken sollte.

Aber NILE wären nicht NILE, wenn sie sich von ein paar Frequenzverwaschungen aus dem Konzept bringen ließen. Stattdessen gab’s – wie gewohnt – einen brutal präzisen, souverän heruntergeprügelten Set voller Highlights aus allen Phasen der Bandgeschichte. Songs wie Stelae of Vultures und To Strike With Secret Fang stellten das aktuelle Album The Underworld Awaits Us All vor und zeigten, dass Karl Sanders & Co. auch 2025 noch wissen, wie man zwischen Hieroglyphen und Harmonien eine Schneise schlägt.

Und dann war da noch dieser göttliche Zufall – oder war es etwa Kalkül? Während Defiling the Gates of Ishtar und Kafir! donnernd durchs Amphitheater rollten, tuckerte gemächlich ein Frachtschiff über den Rhein-Herne-Kanal hinter der Bühne. Name des Schiffs: ISIS. Kein Witz. Da war selbst das Publikum für einen Moment sprachlos. Fast schon zu schön, um nicht inszeniert zu sein. Entweder das war ein genialer PR-Stunt – oder der Sonnengott Ra hatte seine Hände im Spiel.

Musikalisch wurde natürlich auch tief in die Schatzkammer gegriffen: Vile Nilotic Rites zeigte sich als groovendes Monster im Midtempo-Korsett, In the Name of Amun wurde zelebriert wie eine schwarze Messe im Tempel von Karnak, und Sarcophagus ließ die Sonne kurzzeitig hinter dunklen Wolken verschwinden – musikalisch wie atmosphärisch. Die beiden finalen Vernichtungshymnen Lashed to the Slave Stick und Black Seeds of Vengeance fegten schließlich alles weg, was sich noch aufrecht hielt.

Auch wenn der Sound nicht ganz mitspielte und George Kollias unter Wert verkauft wurde – NILE lieferten erneut einen wuchtigen, klug konstruierten Gig voller Blastbeats, Mythologie und Gänsehaut-Momenten. Und das mit einer Selbstverständlichkeit, als wären sie persönlich bei der Entstehung der alten Dynastien dabei gewesen.

Ja, manchmal passieren sie doch noch, diese raren, fast unwirklich anmutenden Festival-Momente, bei denen selbst gestandene Metaller die Luft anhalten, sich verstohlen die Gänsehaut vom Unterarm zupfen und sich gegenseitig versichern: „Das passiert hier wirklich gerade.“ Und genau so ein Moment war der Auftritt von CRIMSON GLORY.

Dass eine Band, die in ihrer Originalära gerade mal drei Alben zwischen 1986 und 1999 veröffentlicht hat, beim Rock Hard Festival als Co-Headliner antritt, mag auf dem Papier mutig klingen. Doch spätestens nach den ersten Tönen von Valhalla war klar: Hier wird niemand enttäuscht. Ganz im Gegenteil – es war ein Triumphzug.

Natürlich – und das darf man nicht verschweigen – standen da nicht mehr die silbermaskierten Kult-Ikonen mit dem ätherischen Midnight am Mikro. Der charismatische Originalsänger verließ diese Welt viel zu früh und ist nicht zu ersetzen. Doch mit Travis Wills hat man einen Frontmann am Start, der keine Kopie sein will – und es auch gar nicht nötig hat. Seine kraftvolle, emotional aufgeladene Stimme traf besonders bei Painted Skies, Lonely und dem finsteren Lost Reflection mitten ins Herz. Und auch in den dramatischen Hymnen wie In Dark Places oder Where Dragons Rule wusste er zu glänzen.

Ein Glücksgriff war zweifellos auch unser Freund und Sound-Guru Jacky Lehman, der an den Reglern stand und den Auftritt klanglich in epische Sphären hievte. Endlich kein Mumpf, kein Mulm, keine matschigen Frequenzen – stattdessen ein Sound, wie man ihn von einer Band mit so viel Pathos und Melodrama erwarten darf: glasklar, druckvoll, majestätisch. Danke, Jacky – du bist der wahre Masque of the Red Death-Meister.

Die restliche Band präsentierte sich tight und spielfreudig, als wolle sie ganz Gelsenkirchen erobern – was angesichts des durchdrehenden Publikums durchaus gelang. Spätestens bei Dragon Lady und dem abschließenden Red Sharks war kollektives Ausrasten angesagt, und bei Azrael wähnte man sich kurzzeitig im Himmel der US-Metal-Götter. Und wer meinte, der dramaturgische Höhepunkt sei bereits erreicht, wurde mit dem getragenen, bittersüßen Eternal World eines Besseren belehrt. Der Song riss noch einmal die Tür zur Vergangenheit auf, ließ einen letzten Blick auf das Vermächtnis von Midnight zu – und schloss den Kreis. Die Band rollte über Gelsenkirchen wie der 1.FC Magdeburg am 01.02.2025 mit 5:2 über den heimischen S04 in deren Turnhalle.

Ein legendärer Auftritt von CRIMSON GLORY, bei dem Pathos, Power und pure Nostalgie zu einer rauschhaften Einheit verschmolzen. Ohne Masken, aber mit Seele. Und Travis Wills? Der hat sich nicht nur Respekt ersungen – er hat sich ein kleines Denkmal gesetzt.

Wer mich und meine Vorliebe für schwedischen Todesstahl kennt, weiß: Sobald die Begriffe Stockholm, Buzzsaw oder Entombed fallen, bin ich hellhörig – aber DISMEMBER? Nun ja. Die Band gehörte für mich persönlich nie zur Speerspitze meiner persönlichen Lieblingsacts. Ich war also skeptisch, ob die Schweden als Headliner wirklich das Zeug dazu haben, das Amphitheater in Gelsenkirchen in einen Todesmetalltempel zu verwandeln. Spoiler: Ich lag kolossal daneben.

Denn DISMEMBER ballerten alles in Schutt, Asche und Knochenmehl. Spätestens bei Of Fire war klar: Hier wird nichts mehr geschont – weder Gehörgänge noch Nackenmuskulatur. Der Sound? Brutal. Die Band? In absoluter Spiellaune. Und das Publikum? Komplett am Ausrasten. Dabei ist das letzte Studioalbum (Dismember, 2008) schon ein paar Dekaden alt, und die Reunion-Gigs ab 2019 waren zunächst rar gesät. Doch live auf der Bühne wirkten die Skandinavier so hungrig, roh und präzise wie anno 1991, als Like an Everflowing Stream die Welt mit Override of the Overture in Schockstarre versetzte.

Für einige gute Freunde aus Berlin – allen voran Szenelegende Jonasurd – war der Auftritt von DISMEMBER sogar Grund genug, die weite Reise ins Ruhrgebiet auf sich zu nehmen. Und wie recht sie damit hatten! Mit einer infernalen Setlist, die unter anderem Casket Garden, Skin Her Alive, Sickening Art, Collection by Blood, Fleshless und das erhabene Dreaming in Red beinhaltete, rissen die Schweden alles ein, was noch stand.

Unterstützt von imposanten Feuersäulen, Pyro-Knallerei und einer grandiosen Lichtshow, untermauerte die Band ihren Headlinerstatus mit Nachdruck – und verwandelte auch Zweifler wie mich in überzeugte Anhänger. Die tiefen Growls von Matti Kärki schienen direkt aus dem schwedischen Fegefeuer zu stammen, und das Zusammenspiel der Gitarristen David Blomqvist und Robert Sennebäck war tighter als der Muskelkater am Tag danach. Zum Finale hin folgten noch Soon to Be Dead, In Death's Sleep und Life – Another Shape of Sorrow, ehe das Publikum erschöpft, glücklich und mit seligem Grinsen in die Nacht entlassen wurde.

Wer gedacht hatte, dass ein paar Jahre Bühnenabstinenz die Legende zum Ausklingen bringt, wurde Zeuge des Gegenteils. DISMEMBER haben mit diesem Gig eindrucksvoll bewiesen, dass echter Death Metal alter Schule weder rostet noch altert. Und ich? Ich gelobe Besserung – Casket Garden läuft jetzt sogar beim Zähneputzen.

Und so endete ein überraschend starker zweiter Festivaltag, der sich wie ein frisch aufgezogener Panzerketten-Marsch ins Herz des Amphitheaters fräste. Wenig erwartet, viel bekommen – das ist ja fast schon ein Running Gag beim Rock Hard Festival, aber diesmal stimmte es besonders: Tolle Bands, großartige Stimmung und ein Publikum, das sich auch vom einsetzenden Regen nicht die Laune verhageln ließ. Mich persönlich nervte der Niesel tatsächlich kein bisschen – nur ein paar Grad mehr hätten’s schon sein dürfen. Aber hey, man wird bescheiden mit den Jahren.

Immerhin durfte ich heute wieder mein eigenes Auto zur Unterkunft steuern, was am Abend zuvor aus naheliegenden Promillegründen unmöglich war und stattdessen den Uber-Fahrer meines Vertrauens einen warmen Tagesumsatz bescherte. Dieses Mal blieb ich abstinent – zumindest offiziell. Inoffiziell sorgte mein nach wie vor nach Rum duftender Rucksack für einen sanften, allumfassenden Schwips, der sich angenehm durch die Nase in die Stimmung schlich. Man kann sagen, ich war den ganzen Tag auf aromatischem Dampf – ganz ohne Gläserklirren.

Wer den Freitag als „schwächsten Tag“ abgestempelt hatte, wurde heute eines Besseren belehrt. Wenn das die schwächste Ausbaustufe ist, dann zieh ich mir morgen sicherheitshalber schon vor dem Frühstück meine Nackenschutzweste an.



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