BABYMETAL – Metal forth (2025)
(9.751) Olaf (7,0/10) Kawaii Metal

Label: Capitol
VÖ: 08.08.2025
Stil: Kawaii Metal
Die Metal-Polizei wird mir vermutlich das Fell über die Ohren ziehen – und trotzdem höre ich BABYMETAL immer wieder gerne. Vielleicht, weil mich diese Band an jenen Abend in Berlin erinnert, als ich mit Schrod (viel zu früh von uns gegangen) im Publikum stand, abwechselnd herzhaft lachte und den Kopf schüttelte – und das lag weniger an der Mucke als an diesem wahnwitzigen Gesamtkunstwerk, das BABYMETAL seit über zehn Jahren auf die Bühne stellt: hyperpräziser Kami-Band-Druck, Pop-Melodien mit Giftzahn und Choreos, die jedem Circle Pit eine Ecke abfeilen.
Aber was zur Hölle ist eigentlich Kawaii Metal? Kurz gesagt: ein Stil, den BABYMETAL quasi erfunden haben. Eine Fusion aus hartem Metal-Riffing, oft im Metalcore- oder Power-Metal-Gewand, und zuckersüßem J-Pop-Gesang, garniert mit Choreografien, die eher an Idol-Gruppen erinnern als an eine Wall of Death. Klingt auf dem Papier wie ein Autounfall zwischen Slayer und Sailor Moon – und genau deshalb funktioniert es weltweit so gut.
Mit METAL FORTH dreht das Trio nun wieder von „düster“ auf „kunterbunt“. Erstmals als offizielles Studio-Album mit Momoko Okazaki (Momometal) an Bord, schiebt die Band die Türen weit auf für Kollabos – sieben von zehn Songs sind mit Gästen entstanden. Und das Who’s-who kann sich sehen lassen: Von Spiritbox und Poppy über Electric Callboy und Bloodywood bis hin zu Tom Morello und erneut Polyphia reicht die Achse. BABYMETAL sind Meisterinnen darin, sich ihrem Gegenüber anzunähern, ohne die eigene Grund-DNA – diese knackige Mischung aus Metalcore-Kante und Speed/Power-Metal-Dringlichkeit – komplett zu verdünnen. Ja, in der Breite geht hier und da ein Stück Identität flöten; dafür bekommt man eine Platte, die vor Einfällen, Hooks und „Hä?…Okay, das knallt!“-Momenten strotzt.
Ich mag’s vorneweg: Die Nummer mit Electric Callboy macht mir schamlos gute Laune. Diese Sorte Riff-Geballer trifft auf Euro-Dance-Grinsen – ein Moshpit mit Neonröhren. Dazu passt mein zweiter Favorit: die gemeinsame Sache mit Bloodywood. Wenn die indischen Folk-Crossover-Vibes in den Refrain peitschen, hat man das Gefühl, jemand hätte Zuckerguss mit Cayenne verwechselt – und plötzlich schmeckt das richtig gut. Meine Überraschung des Albums: die Kollaboration mit Poppy. Wer auch immer sie sein mag – hier ist sie die perfekte Agentin im Spannungsfeld zwischen harter Kante und hypermodernem Art-Pop, was BABYMETAL’s Vorliebe für Kontrast noch deutlicher ausstellt. Und Tom Morello? Der schraubt seine Signatur-Licks wie kleine Sirenen in den Himmel; das wirkt zunächst wie ein Cameo-Stunt, entfaltet aber mit jedem Durchlauf mehr Biss.
Zwischendrin zeigt das Trio ohne Gäste, wo der Kern liegt: flinkes Tremolo, federnde Doublebass-Techno-Beats, Refrains mit Stadion-Ambition. Im Finale White Flame -白炎- feuern BABYMETAL im Highspeed-Modus, so nah am Power-Metal-Horizont, dass man fast wieder auf die Drachenreiter wartet. Die Produktion hält das alles erstaunlich straff zusammen: transparent genug für die poppigen Toplines, fett genug, damit die Riffs nicht wie Deko klingen. Das ist wichtig, denn diese Platte lebt vom Reibungspunkt. BABYMETAL funktionieren genau dann, wenn die Kawaii-Zuckerwatte nicht weichspült, sondern scharfkantig glitzert.

Texte? Ich erfinde hier nichts, aber thematisch wirbelt METAL FORTH die bekannten Koordinaten: Empowerment, Freundschaft, Zusammenhalt, „wir gegen den grauen Alltag“. Nichts daran ist subversiv – aber die Band verkauft diese Inhalte mit einem Selbstbewusstsein, das manch „echte“ Trve-Combo vor Neid erblassen lässt. Und sind wir ehrlich: Ich habe keine Ahnung, warum ich diese plüschige Zuckerwatten-Band mag. Über die Gründe lässt sich spekulieren – am Ende zählt, dass das Teil Spaß macht. Notfalls sprengt man damit eine zünftige Metalparty, wenn das Bier zur Neige geht.
Historisch passt es ins Bild: Vom viralen „Gimme-Chocolate“-Wunder zur ernsthaft tourenden Crossover-Großmacht, die mit Gitarrenhelden, Core-Ikonen und Genre-Neuverdrahten kollidiert – BABYMETAL bleiben ein Kulturunfall im besten Sinne. Sie sind kein Witz, sie sind auch keine Blasphemie. Sie sind eine Zumutung – und genau deshalb beleben sie den Laden.
METAL FORTH ist wie ein Süßwarenladen, der nachts von einer Metalband überfallen wurde: klebrig, laut, viel zu hell beleuchtet – und doch greift man ständig wieder in die Tüte. Die Features strecken den Sound in alle Himmelsrichtungen; manchmal zerfasert das Profil, meist aber wird’s einfach größer. Ich höre das ohne schlechtes Gewissen und mit breitem Grinsen. Und ja: Die Metal-Polizei darf jetzt die Kelle zücken – ich bleibe stehen, drehe auf und tanze.
Anspieltips
🔥 Ratatata
☠️From me to you
🎸Kon! Kon!
Bewertung: 7,0 von 10 Punkten
TRACKLIST
01. From me to you (feat.Poppy)
02. Ratatata (feat.Electric Callboy)
03. Song 3 (Slaughter to Prevail)
04. Kon! Kon! (feat.Bloodywood)
05. KxAxWxAxIxI
06. Sunset Kiss (feat.Polyphia)
07. My Queen (feat.Spiritbox)
08. Algorism
09. METAL!! (feat.Tom Morello)
10. White Flame ー白炎ー