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KANONENFIEBER – Die Urkatastrophe (2024)

(9.073) Schaacki (9,6/10) Blackened Death Metal


Label: Century Media Records
VÖ: 20.09.2024
Stil: Blackened Death Metal






Der Aufstieg von Kanonenfieber ist kaum aufzuhalten. Einzelkämpfer Noise arbeitet sich seinen Weg von Schützen… äh Bühnengraben zu Bühnengraben, hinterlässt dabei viel Rauch und Begeisterung und einige offene Münder. Hier und da kommt es wohl auch zu Gefechten abseits des „Schlachtfeldes“, doch sein Erfolg ist nicht von der Hand zu weisen. Irgendwas macht der Mann einfach richtig. Die klanglichen Erzeugnisse in seinem Tornister untermalen diesen Eindruck.

Ja, ich muss meinen Kollegen, die die älteren Werke aus dem Hause Kanonenfieber rezensierten, zustimmen: Die Musik des Ein-Mann-Projekts hat es auch mir sehr angetan. Vor allem aber die Texte überzeugen mich immer wieder. Die schonungslosen, alles andere als glorifizierenden Geschichten über den ersten Weltkrieg mit all seinem Leid, Elend und immenser Traurigkeit sind genial formuliert und stürzen den Hörer immer in fesselnde Trübseligkeit. In einer Zeit, in der weltweit wahnsinnigerweise immer mehr Radikale die Stimmen des Volkes ernten, ziehen seine Zeilen nur noch mehr mit – auf dem Debüt, den diversen EPs und genauso auf der neue Scheibe „Die Urkatastrophe“.

Jene startet mit dem Intro „Großmachtfantasie“. Bei vertrauten, hintergründigen Melodien ertönen, wie von Kanonenfieber inzwischen bekannt, knarzige, urige Einsprecher des Kaisers. Der Hörer wird also gleich wieder in die konzeptionelle Thematik der Band entführt. Hierauf folgt das Stück „Menschenmühle“. Der Name des Songs dürfte vertraut sein, war er doch schon der Titel des Debüts aus dem Jahre 2021. Er bildet somit Rückbezug auf den Anfang der Geschichte Kanonenfiebers und zugleich erzählt er vom ersten Marsch, von der „Kriegessucht und Wahnkrankheit“, mit der fürs Kaiserreich losgezogen wurde.

Der „Sturmtrupp“ rückt  in der Tat sehr stürmisch vor und erinnert mit seiner modernen Interpretation von melodischem Death Metal an Bands wie Heaven Shall Burn und viel weniger an die dem Schwarzmetall zugewandten Anfangstage der Ein-Mann-Armee Kanonenfieber. Wuchtig und brachial treibt Noise das Heer zur Front, dabei reißt er seine Waffenbrüder mit der Aufforderung „Vorwärts Männer, leistet Widerstand!“ vorzüglich mit, lässt dabei über den Growls auch eine Klarstimme singen, was für einen emotionalen Schub sorgt und zum sofortigen Mitsingen animiert.

Mit dem ersten „richtigen“ Musikvideo aus dem Hause Kanonenfieber – zuvor wurden lediglich Lyrik Videos oder Live Mitschnitte fürs optische Vergnügen veröffentlicht – konnte „Der Maulwurf“ vor ein paar Wochen eine Premiere feiern. Der Song erzählt die Story der Mineure, der Tunnelgräber, die stunden-, manchmal tagelang unter der Erde schufteten und fast nie ans Tageslicht kamen, jener armen Hunde, die unter Tage dem Wahnsinn und nicht selten dem Freitod erlagen. Starke, bedrückende Zeilen treffen hier auf ein starkes musikalisches Konzept, das zwischen schleppenden Parts und kraftvollen Momenten wechselt und alles mit tollen Basslinien garniert. Für mich ein Highlight des Albums!

Lviv zu Lemberg“ hält die bedrückende Stimmung. Auch wenn der Text von den Befehlen von Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf und dem damit eng verbundenem Auslösen des I. Weltkrieges berichtet, so überkommt den Hörer obendrein aufgrund der aktuellen Situation in der Ukraine und eben auch der Stadt Lviv ein sehr beklemmendes Gefühl. Begleitet von der traurig verspielten Melodie ist Gänsehaut garantiert.

Einmal fand der Name beziehungsweise die Band Heaven Shall Burn schon Erwähnung, tatsächlich enthält „Die Urkatastrophe“ auch eine direkte Kollaboration mit den Thüringern in Form eines Mitwirkens von Gitarrist Maik Weichert im Song „Waffenbrüder“. Der Track erzählt von eben jenen, von Freunden, die sich seit Kindheitstagen kannten, mit Stolz Seite an Seite in die Schlacht ziehen sollten. Der Song nimmt den Hörer mit auf ihr „Abenteuer“ und der leicht poppige Chorus berührt und zwingt schon fast zum Mitsingen. Ob diese Erzählung ein Happyend haben wird oder nicht, sollt ihr selbst herausfinden…

Wer nun wieder nach mehr Geschwindigkeit lechzt, der schwingt sich wie „Gott mit der Kavallerie“ aufs Ross und galoppiert ins Gefecht. Hier vereinen sich nun wieder Death und Black Metal zu einem wilden Ritt. Auch der „Panzerhenker“, der bereits veröffentlicht wurde, gibt mächtig Gas und stürzt sich auf den Feind. Neben extremer Raserei glänzt der Song ebenso durch schweres, rhythmisches Riffing, das die Pickelhaube nur so vom Kopf fliegen lässt.

Nach diesen vergleichsweise ruppigen Nummern schließt sich nun das Stück mit der größten Epik und den stärksten Melodien an. Dass ich bisher vor allem die Texte gelobt habe, soll nicht täuschen: „Die Urkatastrophe“ zeigt auch in musikalischer Hinsicht einige Highlights und definitiv noch eine Steigerung von Noise an den Instrumenten, was „Ritter der Lüfte“ eindrucksvoll unter Beweis stellt, denn hier bekommen die Gitarren schon hymnenhaften Charakter. Ebenfalls groß und erhaben präsentiert sich auch die „Ausblutungsschlacht“. Eingeleitet vom Interlude „Verdun“ greift diese um sich und führt alles zum unvermeidlichen Ende. Die vorherrschende Melancholie und Dramatik bescheren Schaudern und Gänsehaut – ein gewaltiger, bedrückender und würdiger Abschluss.

Wobei… ganz vorbei ist das neuste Kapitel des Kanonenfieber-Geschichtsbuch noch nicht, denn mit „Als die Waffen kamen“ gibt es, wie auf dem Debüt „Menschenmühle“, wieder einen akustischen Leckerbissen als Zugabe. Ich will nicht zu viel schwärmen, doch finde ich persönlich die Nummer großartig. Sie zeigt eine weitere Facette von Noise und erweitert das musikalische Spektrum der Scheibe einmal mehr.

Die Urkatastrophe“ wird die Fans von Noise und seinem Projekt wieder einmal begeistern und stark unterhalten. Wie beschrieben, dominieren die Texte, die einen Großteil des Kanonenfieber-Konzepts ausmachen, wieder einmal. Doch muss auch erwähnt werden, dass die Musik noch etwas gereift ist. Das Songwriting bietet reichlich Nuancen und Abwechslung sowohl in Stimmung als auch Rhythmusvielfalt und ist an sich noch etwas mehr „on point“ gespielt. Sicher hat Noise in der Vergangenheit keinen Murks abgeliefert, doch ist das Hörempfinden einfach noch etwas tighter. Abgesehen davon gefällt mir die ausgebaute Komponente der Klarstimme. Zwar wurde auch früher schon damit experimentiert, doch fühlt sich Noise nun scheinbar noch sicherer damit und bringt sie oft effektvoll ein. Dies transportiert an entsprechenden Stellen zusätzliche Emotion.

Viel aussetzen kann ich also am neuen Streich des Bambergers nicht. Das Album bietet Tiefe und Epik in den Texten, Vielfalt in der Musik, eine satte Produktion und diverse Hits – nur (für mich) keinen, der den „Grabenlieder(n)“ oder dem „Füsilier“ das Wasser reichen kann. Somit gibt es also lediglich etwas Abzug durch den Vergleich mit der selbst gelegten Messlatte.

Anspieltipps: „Der Maulwurf“ und „Ritter der Lüfte“


Bewertung: 9,6 von 10 Punkten


TRACKLIST:

1. Grossmachtfantasie
2. Menschenmühle
3. Sturmtrupp
4. Der Maulwurf
5. Lviv zu Lemberg
6. Waffenbrüder
7. Gott mit der Kavallerie
8. Panzerhenker
9. Ritter der Lüfte
10. Verdun
11. Ausblutungsschlacht
12. Als die Waffen kamen




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